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10.07.2018 / Gewerbe im Kiez

Zeitreise ins lasterhafte Berlin von 1931

Das Berlin der zwanziger und dreißiger Jahre hat immer schon fasziniert. In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es schon einmal eine Welle von Filmen wie „Cabaret“ (angelehnt an den Roman „Goodbye to Berlin“ von Christopher Isherwood) und „Schöner Gigolo, armer Gigolo“ (das Remake eines Filmes von 1929).

Im Moment ist das Berlin der Weimarer Republik wieder einmal sehr „in“. Als Musical läuft „Cabaret“ derzeit im Tipi am Kanzleramt, dazu kommt die Serie „Berlin Babylon“ (gedreht nach dem Krimi „Der nasse Fisch“ von Volker Kutscher), die auch international sehr beliebt ist. Krimi und Serie beschreiben das Berliner Leben vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten aus der Sicht eines Kriminalkommissars.

Direkt am Puls der Zeit ist auch „Ein Führer durch das lasterhafte Berlin. Das Deutsche Babylon 1931“ von Curt Moreck, das dieses Jahr neu aufgelegt wurde. Hier erhält der Leser und die Leserin Informationen aus erster Hand. Das Buch erschien 1931 und beschreibt mit ironischer Feder den Mythos des modernen und wilden Berlins, mit dem übrigens auch damals schon die Tourismusbranche für die Stadt warb. Moreck zeigt uns die Tanzbars und Restaurants Berlins, als Schwerpunkt aber natürlich das Nachtleben. Das ist es schließlich, was die Leu-te immer schon am meisten interessierte. Je wilder, desto besser.
Curt Moreck, der eigentlich Konrad Haemmerling hieß, war kein Berliner, sondern Kölner. Vielleicht ist es der Blick des „Zugereisten“, der ihn mit etwas Abstand und feiner Ironie über das lasterhafte Leben Berlins berichten lässt. Zu allererst gibt er in seinem Reiseführer die Atmosphäre der Stadt wieder, das pulsierende Tempo, das Nebeneinander zwischen vornehmer Eleganz und billigem Ramsch. Aber natürlich, das wusste der Autor, wollen die Leser mehr als nur die Fassade sehen. Da lässt er sich nicht lange bitten und beschreibt die verschiedenen Etablissements, in denen die moderne Dame auf Eintänzer trifft, der geneigte Herr auf die entsprechenden Damen.

Ganz offen berichtet er auch, wo sich der „mannmännliche Eros“, die Lesben und die Transvestiten - die „Queer-Community“ sozusagen trifft. Er lässt auch die Nacht-Badeanstalten nicht außen vor. Letztere wurden damals despektierlich als „Nuttenaquarium“ bezeichnet, was hart klingt, aber die Realität widerspiegeln dürfte. Was Lesben- und Schwulenbars betrifft: sie befanden sich, ganz klar, auch damals schon gehäuft in Schöneberg, worüber ja der bereits erwähnte Amerikaner Christopher Isherwood berichtet hat. Namen wie das „Eldorado“ oder „Femina“ kommen einem relativ vertraut vor. Die Scala, eine der berühmtesten Varieté Bühnen residierte in der Martin-Luther-Straße. Der Luna-Park dagegen, dessen nächtliches Schwimmprogramm legendär war, lag in Halensee und wurde 1934 geschlossen.

Bei Moreck geht es unter der Überschrift „Berliner Unterwelt“ vor allem um die auch vom Proletariat aufgesuchten Ballsäle, von denen manche wie Clärchens Ballhaus in Mitte noch heute existieren. „Echte Verbrecherkeller, von denen man außerhalb Berlins sich mit einer Gänsehaut über dem Rücken furchtbare Dinge zuflüstert, gibt es nicht mehr. (…) Das Verbrechen hat sich organisiert und duldet nicht den neugierigen Andrang der ‚anderen Seite‘.“

Das Buch ist amüsant zu lesen und fühlt sich wirklich wie das Eintauchen in die vergangene Zeit, wie eine Zeitreise, an. Manche Orte würde man gerne aufsuchen, um zu überprüfen, ob der damalige Männermangel nach dem Ersten Weltkrieg tatsächlich derartige Auswirkungen hatte: „Selbst das männliche Ekel hat heute immer noch neunzigprozentige Hoffnung auf Erfolg. Masseure, Kellner, Friseure und ähnliche Berufsvertreter, die in engere Berührung mit der Frau der besseren Kreise kommen, sind heutzutage stark gefragte Bedarfsartikel und werden als ‚Kavaliere‘ lebhaft in Anspruch genommen.“ Da würde man oder frau gerne Mäuschen spielen und sich diese männlichen „Bedarfsartikel“ einmal aus der Nähe angucken. Die Realität, so lässt sich erahnen, wird etwas grauer und weniger mondän gewesen sein.

Davon, dass dieser „Tanz auf dem Vulkan“ nach 1933 zu Ende sein würde, war 1931 vielleicht schon etwas zu ahnen, aber noch nicht die Rede. Curt Morecks Reiseführer (und auch seine anderen Romane) wurde nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten verboten. Er konnte nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr an seine früheren Erfolge als Schriftsteller anknüpfen. „Der Führer durch das lasterhafte Berlin“ erfreute sich aber einer gewissen Beliebtheit, war zeitweise nur als teure antiquarische Ausgabe erhältlich und ist nun im Berliner Bebra Verlag neu erschienen.

Isolde Peter

Curt Moreck
„Ein Führer durch das lasterhafte Berlin.
Das Deutsche Babylon 1931“
Bebra Verlag Berlin
22 EUR

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