Zur Orientierung für Menschen mit Behinderungen

16.11.2022 / Menschen in Schöneberg

Weniger Gas – mehr Waschlappen

Von Ottmar Fischer. Putins Krieg hat Tod und Verwüstung in die Ukraine gebracht, und da sein imperialistischer Größenwahn auch für die anderen Nachbarländer in Europa eine Bedrohung darstellt, hat sich der Westen frühzeitig an die Seite der Ukraine gestellt, denn Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie als unteilbare Werte Europas können nur gemeinsam und müssen daher überall verteidigt werden.
ehemaliger Gasometer. Foto: Dirk Ingo Franke, CC BY-SA 2.0

Das hat freilich Folgen auch für den unterstützenden Westen. Neben den direkten Aufwendungen zur finanziellen und militärischen Verteidigungsfähigkeit der Ukraine werden immer stärker auch indirekte Kosten wirksam, die durch die kriegsbedingte Unterbrechung der Zufuhr von Energierohstoffen aus Russland entstehen. Denn da wir von dort kein Öl und kein Gas mehr beziehen wollen um Putins Kriegskasse nicht ungewollt zu füllen, muss Ersatz in aller Welt beschafft werden, und das zu höheren Preisen als uns lieb ist.
Um der Verteuerung von Energie entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung eine Deckelung der Preise für Strom und Gas auf den Weg gebracht, denn die gestiegenen Energie-Kosten belasten nicht nur die privaten Haushalte, von denen  etwa die Hälfte ihre Wärme aus teurem Gas gewinnt, sondern auch die Unternehmen, besonders jene, die energieintensiv produzieren wie etwa die Bäcker. Der Schutzschirm soll durch maßgeschneiderte Zuwendungen Verbraucher und Betriebe entlasten. Doch gleichzeitig wird von Sachverständigen darauf hingewiesen, dass etwa beim Gas die Nutzer selber 20% des prognostizierten Gasverbrauchs einsparen müssten, damit über den Winter eine lückenlose Versorgung sichergestellt werden kann, denn die Kapazitäten der  inzwischen wieder gut gefüllten Gasspeicher reichen dafür nicht aus.
Da die gestiegenen Energiepreise auch die Produktion von Lebensmitteln verteuern, ist die Inflationsrate inzwischen auf außerordentliche 10% gestiegen, was für viele Verbraucher bereits die Belastungsgrenze überschreitet. In Umfragen steigt daher verständlicherweise der Wunsch, die politischen Bemühungen um einen Ausgleich mit dem Aggressor Putin zu verstärken. Doch ein Verzicht auf die Verteidigung der europäischen Grundwerte kann andererseits für die verantwortlichen Politiker nicht in Betracht kommen, denn die Folgen wären unabsehbar. Aus der Politik werden daher Signale häufiger, die eigenen Bemühungen zum Energiesparen zu verstärken. Wurde anfänglich noch die Aufforderung von Ministerpräsident Kretschmann belächelt, man könne statt ausgiebigen Duschens auch mal den Waschlappen für die tägliche Körperhygiene einsetzen, hat sich inzwischen zur Frage von Sparmöglichkeiten beim Heizen viel weniger belächelt der ehemalige Bundestagspräsident Schäuble mit der Empfehlung zu Wort gemeldet: „Dann zieht man halt einen Pullover an. Oder vielleicht noch einen zweiten. Darüber muss man nicht jammern.“ Und im Tagesspiegel-Checkpoint war kürzlich zu lesen, dass das Bundespräsidialamt seinen Mitarbeitern in einem internen Schreiben mitgeteilt habe: „Sie alle haben sicherlich bemerkt, dass wir uns nunmehr an die angekündigte Drosselung der Raumtemperaturen – die bei sitzender Tätigkeit rasch als kühl empfunden wird – gewöhnen müssen. Um Ihnen die Anpassungszeit etwas erträglicher zu gestalten, können Sie Decken anfordern, die Ihnen ab sofort bereitgestellt werden.“

Der Alt-Schöneberger Gaskrieg
Auch früher schon empfanden die Menschen bei uns zusätzliche Belastungen wegen übergeordneter Maßnahmen als Zumutung, für deren Vermeidung alle Register gezogen wurden. Der „Schöneberger Geschichtsschreiber“ Willy Spatz berichtet zur Auseinandersetzung um eine bessere Beleuchtung der noch dörflichen Potsdamer Straße um 1850, dass die Schöneberger Gemeinde hartnäckig Widerstand leistete, um die „Einführung des Gaslichts, dessen Vorzüge Berlin schon seit dem Jahre 1826 genoß“, zu verhindern. Er berichtet, dass der Berliner Polizeipräsident dem damals zuständigen Landrat in Teltow vorgeschlagen habe, „daß er die Aufstellung von Laternen auf der ganzen Länge der Chausseestraße vom Landwehrgraben bis zur Steglitzer Grenze im sicherheitspolizeilichen Interesse für geboten hielte“, woraufhin eine eigens zu diesem Zweck einberufene Gemeindeversammlung dem vorgelegten Vertrag mit der bereits in Berlin tätig gewordenen Imperial Continental Gas Association aus London auch zustimmte, aber mit der Aufteilung der Kosten nicht einverstanden war.
Eine deswegen nötig gewordene zweite Gemeindeversammlung verwarf denn auch den ganzen Vertrag, woraufhin der Berliner Polizeipräsident aus eigenem Recht mit der Aufstellung von Öllaternen drohte, was aber für alle viel teurer geworden wäre.

Eine erneute Versammlung erklärte sich dann doch bereit, der ungeliebten englischen Gasgesellschaft die Aufstellung der Gaslaternen zu gestatten, aber nur bis zum belebten Omnibushalteplatz und dem dortigen „Schwarzen Adler“, weil „die ländliche Bevölkerung sich grundsätzlich zu Hause hielte und deshalb keiner Gasbeleuchtung bedürfe“. Speziell wurde darauf hingewiesen, „daß die Düngerwagen am frühen Morgen, nach Erlöschen der Gaslaternen, beladen zurückzukehren pflegen.“ Außerdem würden die Rüstern und Linden jenseits des Haltepunktes die Verbreitung des Lichts so sehr behindern, dass „eine Reihe von Gaslaternen die Dunkelheit mehr hervortreten lassen und den Frevlern gegen Sitte und Gesetz größere Unbemerktheit verschaffen“ würde. Gegen die vorgesehene Kostenbeteiligung wurde zudem geltend gemacht, dass es Ertragseinbußen infolge der vom Militärfiskus erzwungenen Veräußerung von einem Viertel des „Hohen Feldes“ gebe,  die Milchpreise seien „im Verhältnis 5 bis 3 gesunken, da die Eisenbahnen schon jetzt täglich über 20 000 Quart Milch nach Berlin führen“, und schließlich sei zu allem Übel auch noch „ein amerikanisches Unkraut“ vom nahen Botanischen Garten  eingeschleppt worden und „beeinträchtige den Hartfruchtanbau“.
Der Polizeipräsident drohte nun erneut mit der Aufstellung von Öllaternen, und als auch die nationale Karte gegen die englische Gesellschaft nicht ziehen wollte, die Engländer ihrerseits sogar die gerichtliche Bestätigung der Rechtsgültigkeit des ursprünglichen Vertrags erstritten hatten, kam es 1854 endlich doch zum Beginn der Maßnahme „mit der Legung der Rohre an der Halleschen Tor-Brücke“. Zur Frage der Aufbringung der Kosten kam es jedoch erneut zu langwierigen Verhandlungen, bei denen sich die beitragspflichtigen Grundstücksbesitzer manche Spitzfindigkeiten einfielen ließen, um den eigenen Anteil zu verringern. Dabei tat sich „ein alter Krieger und hinfälliger Mann“ , so seine Selbstbeschreibung, besonders hervor, indem er in seiner Einlassung  darauf hinwies, „sein nächster Weg ginge garnicht durch die Potsdamer Straße, sondern durch das Hallesche Tor, und bat, ihn von solchen Abgaben, „wo er jar nichts für habe“, zu befreien.“

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