Zur Orientierung für Menschen mit Behinderungen

02.12.2023 / Gewerbe im Kiez

Tage wie diese

Von Kathrin Vogel. Eigentlich ist alles wie sonst. Wenn ein leichter Bauchdruck sich bemerkbar macht, begleitet von einer Stimmung, deren Hochs und Tiefs ein wenig rascher wechseln als im allgemeinen, und ein kleiner Eindruck große Empfindungen auszulösen vermag, teilt dir dein Körper mit, dass der Besuch von Tante Rosa bevorsteht.
Bindengürtel, genutzt in Berlin, vermutl. 1960er-Jahre © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen / Christian Krug

Tante Rosa freut sich über jede Aufmerksamkeit wie etwa heißen Tee und Schokolade, und verachtet auch keine Wärmflasche. Jetzt ist es Zeit, die Seele zu öffnen, um sich einige Tage zu besinnen, eine Auszeit zu nehmen und vornehmlich an sich und natürlich Tante Rosa zu denken. Meine Weiblichkeit hat sich zu erkennen ergeben und verlangt nach Aufmerksamkeit. „Alles nur das nicht“, ist daher die falsche Herangehensweise, denn ab jetzt dominiert die Kraft des Körperlichen und übernimmt die Führung für die nächsten Tage.

Willkommen in der Umkleidekabine! Es ist Zeit für ein paar Handgriffe, damit du deine Frau stehen kannst., denn jetzt führt Tante Rosa Regie. Ein paar kleine Einschränkungen eröffnen dir mehr Freiheiten während ihrer Besuchszeit. Denn wenn Tante Rosa  kommt, lässt sie keine Gelegenheit aus, sich in Szene zu setzen. Damit sie nicht die Alleinherrschaft übernimmt, muss die Dialogregie einige Vorkehrungen treffen. Rosa freut sich immer über Aufmerksamkeiten. Ein Gang in die Vorratskammer fördert Levantiner Schwämmchen zutage. Ein Beitrag zur Nachhaltigkeit. Sie befinden sich direkt neben den Tampons von früher, und werden ebenso wie diese eingeführt. Sie nehmen das Monatsblut aufgrund ihrer naturgegebenen Eigenschaften besonders gut auf, da sie aus im Meer lebenden Schwämmen hergestellt werden. Organisches trifft hier auf Organe, die sich dafür sehr bedanken. Kein Wunder, denn alles Leben stammt aus dem Meer. Auch Tante Rosa ist zufrieden. Wir essen gemeinsam ein Eis und stoßen auf gute Zusammenarbeit an.

Neben den lustigen Schwämmchen findet sich auch ein Exemplar einer Menstruationstasse. Auch diese ist ein Beispiel für nachhaltigen Umgang mit Bedarfsartikeln. Es handelt sich hierbei um ein Gefäß, das in die Vagina eingesetzt wird und als Auffangbehältnis dient. Diese ist nach Gebrauch auszuspülen und somit wiederverwendbar. Neben diesen nachhaltigen Beispielen sind heute allerdings  eher Tampons und Binden im Einsatz.

Über die spannende Entwicklungsgeschichte der heute im Gebrauch befindlichen Bedarfsartikel informiert eine aktuelle Ausstellung im Museum Europäischer Kulturen in Dahlem. Wir lernen hier, dass bis vor 150 Jahren die Unterwäsche aus mehreren Hemden bestand. Lediglich in der Oberschicht waren bereits Unterhosen im Gebrauch. Frauen trugen in der Regel zudem einen Unterrock. Verschiedene Modelle werden in der Ausstellung gezeigt.

In der Ausstellung
Bis zu diesem Zeitpunkt gab es keine spezielle Wäsche für die besonderen Tage. Die ersten Binden bestanden aus Lendenschürzen zum Knöpfen und waren mit Bändern im Schritt zu befestigen. Varianten davon wurden mit Gürteln und Spangen an sogenannten Bindegürteln befestigt. Sie wurden in Heimarbeit hergestellt und bestanden aus waschbaren Stoffen. 1885 ist die Binde noch so unbekannt, dass ein Arzt sie in einer Fachzeitschrift zum Erstaunen der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Um 1890 beginnt das Geschäft mit der Menstruation zu florieren. 1892 preist die Firma Marwede Binden mit Mooseinlage an. Moos hat eine hohe Saugkraft, wirkt desinfizierend und weist gegenüber der bis dahin gebräuchlichen Holzwolle Vorteile auf. In der Ausstellung sind Produkte von Hartmann und Marwede zu besichtigen. 1893 lässt sich die Firma Teufel den „Bindegürtel“ patentieren, eine Haltevorrichtung für eine Binde. Diese Erfindung verhinderte das Verrutschen der Binde, da noch keine Unterhosen in Gebrauch waren. Bereits 1907 erscheint das „Buch der Wäsche“ von Brigitta Hochfelder, das ein bis dahin tabuisiertes Produkt vorstellt, nämlich eine Nähanleitung für „Wäsche für besondere Tage“. Nach wie vor gibt es keine Unterwäsche, die den heutigen Vorstellungen entspricht. Die Autorin entwickelt ihre Entwürfe ohne Vorbilder. So ist in der Ausstellung ein solches Wäschestück ausgestellt, das aus einem 42cm großen Tuch besteht, an zwei Ecken mit Band und Ösen versehen ist und in schräger Richtung vierfach zusammengefaltet wird, wie uns eine Nähanleitung verrät.

Sogenannte Monatsschürzen, die bis dahin ebenfalls in Gebrauch waren und aus Gummi bestanden, gerieten schnell in Vergessenheit. Das verwendete Material war abwaschbar und verhinderte Blutflecken auf der Kleidung. Um 1900 empfahl die Ärztin Fischer-Dückelmann selbstgemachte Binden in ihrem Buch „Die Frau als Hausärztin“, welches in 13 Sprachen übersetzt wurde und sich millionenfach verkaufte. Ab 1916 bot das Versandhaus Hermann Busch in Kiel neben Wäsche und Kleidung erstmals auch Menstruationsartikel als Katalogware an. In dieser Zeit erfinden die Vereinigten Papierwerke Nürnberg die Traditionsmarke „Camelia“. Diese Binde war ein Einwegartikel, der aus Zellstoff in einem Netzschlauch gefertigt war und in seiner Textur bereits an die heute noch üblichen Monatsbinden erinnert. In der Bevölkerung wurde bis 1850 Unterwäsche aus Leinen oder Baumwolle selbst angefertigt, ist in der Ausstellung zu erfahren. Dann übernahm die Industrie die Herstellung. Erst in den 1930er Jahren kamen Produkte aus „Kunstseide“, also aus synthetischen Fasern auf den Markt. Diese synthetischen Wäschestücke boten den Vorteil der Reißfestigkeit. In der Ausstellung ist ein mit Flicken übersätes Wäschestück zu bestaunen, an dem zu erkennen ist, wie mühselig früher die Instandhaltung der Wäsche war und wie vorteilhaft und arbeitserleichternd dagegen die neu erfundene Kunstfaser war.

Ab 1950 verkauft die Firma Hahn den ersten Tampon o.B. (ohne Binde) in Anlehnung an eine amerikanische Erfindung. Dieser Artikel erleichterte den Umgang mit der Menstruation erheblich. In der Folgezeit kommen Tampons unterschiedlicher Größe auf dem Markt, angepasst an die jeweilige Blutungsstärke. Eine Firma wirbt mit „Einsaugkissen aus Spezialmaterial“, während es von 1986 bis 2021 sogar einen o.B.-Tampon mit Applikator (Einsteckhilfe) gab. Für all diejenigen, die der Binde treu geblieben waren, kam in den 1970ern die selbstklebende Binde auf den Markt, die endlich den Bindengürtel überflüssig machte, aber das Tragen einer enganliegenden Unterhose notwendig machte. In jüngerer Zeit kamen auch waschbare Binden wieder auf den Markt, die aus Gründen des Umweltschutzes und der Abfallvermeidung stärker nachgefragt werden. So bietet die Ausstellung einen interessanten Überblick über die Entwicklung auf dem Gabentisch für Tante Rosa. Und es gibt viele weitere Informationen aus Geschichte und Gegenwart zu den besonderen Tagen. In einem zeltartig geschützten Bereich kann sogar anprobiert werden, was bei einigen aktiven Besucherinnen verhalten kichernde Heiterkeit auslöste.
Das Menstruationsgeschehen blieb über Jahrhunderte eine von den Männern weitgehend ignorierte Angelegenheit der Frauen, bis die industrielle Herstellung von Hygiene-Artikeln und die damit verbundenen Gewinnmöglichkeiten auch ihr Interesse an der weiblichen Periode zu wecken vermochte. Mit der Bewerbung der neuesten Produkte erlangte das rote Geschehen endgültig gesamtgesellschaftliche Aufmerksamkeit.  In unserer Zeit der Geschlechtergerechtigkeit hat Tante Rosa nun auch Eingang in die Politik gefunden. In den Bezirken und vielen landesweiten Einrichtungen ist das Bestreben laut geworden, den beobachteten Mängeln  bei der Versorgung von Mädchen und jungen Frauen aus den ärmeren Schichten durch eine kostenlose Bereitstellung von Tampons und Binden auch in den Toiletten von Schulen entgegenzuwirken. In der BVV Tempelhof-Schöneberg wurde ein gemeinsamer Antrag von SPD und Grünen beschlossen, der das Bezirksamt beauftragt, die dazu nötigen Schritte einzuleiten.

LÄUFT – Die Ausstellung zur Menstruation
Museum Europäischer Kulturen Dahlem,
Arnimallee 25
Di-Fr. 10-17 Uhr, Sa-So. 11-18 Uhr
Infos: www.smb.museum/laeuft

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