Zur Orientierung für Menschen mit Behinderungen

16.11.2022 / Menschen in Schöneberg

Geschäftsordnung regelt Verkehr

Von Ottmar Fischer. Ohne Ordnung gelingt kein Verfahren, weswegen auch die Bezirksverordnetenversammlung in Tempelhof-Schöneberg sich eine eigene Geschäftsordnung gegeben hat, die zuletzt am 21. September erneut geändert wurde. Danach haben die Fraktionen nun am Anfang jeder Sitzung Gelegenheit, jeweils dasjenige Thema ihrer Wahl zur Debatte zu stellen, das aus ihrer Sicht am dringendsten behandelt werden muss, und nicht etwa vorab zur Beratung in die Ausschüsse überwiesen oder am Ende einer Sitzung aus Zeitmangel vertagt wird.
Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin. Foto: Thomas Thieme

Diese Prioritätenliste wurde in der Oktobersitzung mit der Großen Anfrage der Grünen eröffnet, die vom Bezirksamt Aufklärung darüber verlangte, ob es in unserem Bezirk bei den letzten Wahlen zum Landesparlament und zur  Bezirksverordnetenversammlung Fehler gegeben habe, wie sie in großem Umfang aus anderen Bezirken gemeldet wurden, sodass sich nun das Landesverfassungsgericht mit der Frage beschäftigen muss, ob die Wahlen in Teilen oder gar in Gänze wiederholt werden müssen.
In seiner Beantwortung stellte Stadtrat Steuckardt (CDU) zunächst fest, dass es im Wahlbezirk Tempelhof-Schöneberg keine Wahlfehler gegeben habe, was für den Fall einer möglicherweise vom Verfassungsgericht verfügten Wahlwiederholung für alle Bezirke, so wie das vom Gericht in einer „vorläufigen Einschätzung“ für möglich erachtet wurde, bedauerlicherweise unberücksichtigt bleiben würde.

An diesem Punkt setzte in der Debatte auch die Kritik Bertram von Boxbergs (Grüne) an, der sich in seinen Ausführungen nach seinem eigenen Bekunden auf die „profunde Stellungnahme“ des bezirksamtlichen Rechtsamts stützte. Er stellte dar, „dass in einem Urteil Spekulationen nichts zu suchen haben“, weswegen nicht von einer Tatsachenfeststellung gesprochen werden könne, wenn „nichts beweisbar“, sondern ein Verdacht nur „irgendwie spürbar“ sei. Verfassungskonform sei daher vom Gericht erstens zu prüfen, ob belegbar eine tatsächliche Wahlrechtsverletzung vorliege, und zweitens, ob die nachgewiesenen Fehler mandatsrelevant seien, also etwa Zahlenkorrekturen in einem Stimmlokal überhaupt das Wahlergebnis verändern würden.

Ralf Olschewski (CDU) kritisierte dagegen vor allem den Umgang der Verantwortlichen im Landeswahlamt und in der Landespolitik mit den Wahlfehlern nach der Wahl. Es sei eine Mischung aus Verantwortungslosigkeit, Desinteresse und Verharmlosung zu verzeichnen gewesen: „Dass die halbe Republik über uns lacht, wäre noch zu ertragen, aber die Erschütterung des Vertrauens in eine funktionierende Demokratie nicht.“ Alle Parteien sprachen sich dafür aus, erst einmal das Urteil des Landesverfassungsgerichts abzuwarten, auch die AfD, die nicht protokollierte Fehler auch in Tempelhof-Schöneberg bemerkt haben will. Die scharfe Stellungnahme der Grünen lässt freilich ahnen, dass für den Fall der Anordnung einer Komplettwiederholung im Urteil wohl mit einer Anfechtungsklage von ihrer Seite zu rechnen ist, denn tatsächlich leuchtet auch dem Nichtjuristen nicht ein, warum die Wahl in einem Wahlkreis wiederholt werden sollte, in dem es keine Fehler gegeben hat. Zudem könnte der hauchdünne Vorsprung der Grünen von 70 Stimmen bei einer Wahlwiederholung leicht dahinschmelzen, der gerade erst errungene Bürgermeisterposten könnte wieder verloren gehen und auf der politischen Leitungsebene des Bezirksamts könnte ein erneutes Stühlerücken einsetzen.

Am 16.11.2022 hat der Verfassungsgerichtshof Berlin in Schöneberg die Wahlen zum 19. Berliner Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen vom 26. September 2021 für ungültig erklärt [redaktionelle Ergänzung].

Die Fahrradstraße wird abgespeckt
Die BVV-Geschäftsordnung hat auch bei der noch laufenden Klärung der Ausgestaltung einer Fahrradstraße für die Handjerystraße Regie geführt. Denn der erst wenige Tage vor der BVV-Sitzung im Verkehrsausschuss beschlossene Antrag der FDP zum Thema, der von der SPD in einem Änderungsantrag modifiziert wurde und  nur bei den Grünen auf Ablehnung stieß, konnte es wegen der Kurzfristigkeit nicht mehr auf die Tagesordnung der aktuellen BVV-Sitzung schaffen, weil keine Dringlichkeit beschlossen wurde, wie es die Geschäftsordnung bei so kurze Frist vorschreibt. Gleichwohl lässt sich für die Novembersitzung voraussagen, dass dem Antrag in seiner geänderten Fassung entsprochen werden wird. Und das bedeutet, dass es zur Umsetzung des Vorhabens in der geplanten Form nicht kommen wird.

Das sahen auch die Redner einer von etwa 50 Teilnehmern besuchten Kundgebung vor dem Schöneberger Rathaus unmittelbar vor der BVV-Sitzung so, Sie stellten eine „Verwässerung“ der ursprünglichen Planung fest, indem sie auf die Einzelheiten des von ihnen kritisierten Antrags verwiesen. In dem beschlossenen Antrag heißt es, dass die verkehrsberuhigten Maßnahmen „in geeigneter Weise“ beibehalten werden sollen, Behindertenparkplätze eingerichtet sowie Ein- und Ausstiegszonen für soziale Bereiche geschaffen werden sollen, und es soll durch bauliche Maßnahmen wie Bodenschwellen eine Verlangsamung des Verkehrs mit dem Ziel des Erreichens von Schrittgeschwindigkeit für alle Verkehrsteilnehmer ermöglicht werden.
Besonders empörend aber fanden die Fahrradfreunde der Kundgebung den letzten Absatz des Antrags, in dem es heißt: „Um den Parkplatzsuchverkehr zu reduzieren und keine Gefährdungen durch zusätzlichen Verkehr zu verursachen, sollen im südlichen Teil der Handjerystraße zwischen Renée-Sintenis-Platz und Bundesallee die jetzigen Parkplätze erhalten bleiben und die Fahrgassenbreite entsprechend angepasst werden.“ Damit zeigt sich in der Tat eine Modifizierung der SPD-Haltung zur Frage der Ausgestaltung, denn die Argumentation folgt weitgehend den in der vergangenen BVV-Sitzung vorgetragenen Leitlinien aus dem Einwohnerantrag der Bürgergruppe aus der Handjerystraße, den die Fraktion in Kooperation mit den Grünen noch abgelehnt hatte.

In einer gemeinsam von der Fraktionsvorsitzenden Marijke Höppner und der verkehrspolitischen Sprecherin Annette Hertlein herausgegebenen Pressemitteilung hei0t es denn auch selbstkritisch: „Es dürfen nicht die unter die Räder kommen, die keine eigene Lobby haben. An verschiedenen Standorten in der Planung haben wir die Sicherheit von Kindern und Jugendlichen sowie die Teilhabe von Menschen mit Behinderung den Interessen des Radverkehrs untergeordnet gesehen“ (Zitat Höppner). Und in historisch erweiterter Selbstkritik heißt es dann weiter: „Wichtig ist, dass wir die Fehler der Vergangenheit – als Berlin zur autogerechten Stadt umgebaut wurde und sich alle Verkehrsarten unterordnen mussten – nun nicht unter neuen Vorzeichen erneut begehen. Mit den Maßnahmen aus der Beschlussempfehlung kann es gelingen eine Fahrradstraße zu etablieren, die für alle Verkehrsteilnehmenden gleich sicher ist. Nur so kann Akzeptanz für weitere Fahrradstraßen generiert werden“ (Zitat Hertlein).

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