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09.03.2019 / Menschen in Schöneberg

Der Untergrund bebt

Aufreger der Januar-Sitzung der BVV war erwartbar das widerborstige Punker-Völkchen der selbstverwalteten Jugendeinrichtungen Potse und Drugstore, deren Räume in der Potsdamer Straße 180 zum Jahresende nun endgültig geräumt werden mussten.
Plakat vor der Potse
Besetzte Jugendeinrichtung und Mahnwache in der Potsdamer Straße 180. Fotos: Thomas Protz

Denn nach den wiederholten Einlassungen des Eigentümers hatte sich nunmehr unabweisbar herausgestellt, dass die lärmintensive Nutzung der Räumlichkeiten durch die Punker mit dem Ruhebedürfnis der Nutzer eines im Hause neu geschaffenen Mietangebots nicht kompatibel ist, das Wohnen und Arbeiten im selben Mietobjekt ermöglicht, also für Start-Ups besonders gut geeignet ist. Während die unangepassten Punker auf einer repressionsfreien Gestaltung von Tag und Nacht bestehen und einen freizügigen Umgang auch mit Laut und Leise bevorzugen, pflegen die Start-up-Mieter eher einen organisierten Wechsel von Arbeit und Ruhe. Jugendstadtrat Schworck (SPD) hatte daher seit drei Jahren eine schwierige Aufgabe zu lösen, denn so lange schwelte der Konflikt bereits. Bislang war es ihm zwar immer wieder gelungen, eine Kündigung in eine Mietverlängerung umzuwandeln. Doch diesmal war endgültig Schluss. Eine Nachfolgelösung musste gefunden werden.

Im Verein mit Baustadtrat Oltmann (Grüne) setzte eine Odyssee durch die weitgefächerte Häuserlandschaft ein, die immer wieder an den Klippen Lärmverträglichkeit und Bezahlbarkeit zu scheitern drohte. Doch kurz vor Ablauf der Frist gelang schließlich ein Durchbruch. Die lärmintensiven Angebote mit Konzertieren und Üben sollten in die Potsdamer Straße 140, wo keine Mieter die Lärmentfaltung stören können. Und die leiseren Angebote sollten in die Potsdamer Straße 134, ein Gebäude im Besitz der städtischen Gewobag, deren Ziel es ist, neben Wohnangeboten auch Infrastruktureinrichtungen Raum zu geben. Es schien also eine für alle Beteiligten tragfähige Lösung gefunden. Doch dann kam noch das letzte Tausendstel der letzten Sekunde: Die Finanzverwaltung vermeldete plötzlich ebenfalls ein dringendes Interesse an dem in Landesbesitz befindlichen Gebäude Potsdamer Straße 140. Eine Finanzamts-Schule soll dort einziehen.

Gibts denn sowas?
Da blieb denn nicht nur den Punkern, sondern auch den Bezirkspolitikern die Spucke weg. Während die Drugstore-Leute am 31.12. den Schlüssel verabredungsgemäß übergaben, um den Weiterbestand ihrer Einrichtung nicht zu gefährden, wurde dies von den Potse-Punkern verweigert. Stattdessen „besetzten“ sie in einem „Akt des zivilen Ungehorsams“, wie es auf einem Flugblatt hieß, ihre alten Räume und stellten ihre Mitwirkung bei dem bislang in gemeinsamer Anstrengung mit dem Jugendamt erfolgten Umzug ein, bei dem es zunächst in ein Zwischenlager geht, bevor es in einem zweiten Schritt in einigen Monaten dann in das inzwischen grundsanierte neue Quartier gehen soll. Die Frage der Zwischenzeit bleibt dabei für die Punker ungelöst.

In einer während der Sitzung an die Presse verteilten Erklärung der Linken-Fraktion heißt es dazu: „...Vertreter_innen von Potse beschlossen, ihre Räume zu besetzen. Seitdem findet vor dem Gebäude ununterbrochen trotz Minustemperaturen eine Mahnwache mit anhaltenden Protestkundgebungen statt ... es ist ein Unding, dass die für den Konzertbetrieb geeigneten Räume in der Potsdamer Straße 140 nun an die Finanzbehörde gehen. Im Gegensatz zu der Behörde sind Potse und Drugstore auf ihr bisheriges soziales Umfeld unbedingt angewiesen. Das ist keine verantwortliche Jugendpolitik. Denn Räume für die Finanzverwaltung finden sich in der Stadt leichter und müssen auch nicht zentral sein. Räume für Jugendeinrichtungen, die dem Umfeld gerecht werden und dem Lärmschutz für Konzerte entsprechen, sind allemal schwieriger zu finden.“

Na also!
Das ist wohl in der Tat so, weswegen Stadtrat Schworck in der aufgeregten Debatte auch immer wieder  betonte, dass er nach wie vor eine für alle Beteiligten akzeptable Lösung in weiteren Gesprächen anstrebe. In zwei Großen Anfragen von CDU und FDP zum Thema geriet aber auch in den Blick, was die Verweigerung der Schlüsselübergabe für Folgen für die Bezirksfinanzen haben könnte. In seiner Beantwortung erklärte der Stadtrat, dass er von dem Vorgehen der Punker zwar überrascht worden sei, und auch nicht ausschließen könne, dass die verzögerte Übergabe auch Auswirkungen auf den Etat des Jugendamts haben könnte, doch seien andere Jugendprojekte dadurch nicht gefährdet. Als Ausgleich für die möglicherweise nicht mehr zur Verfügung stehende Potsdamer Straße 140 habe er inzwischen mit der Tempelhof Projekt GmbH die Nutzung eines Teils der Flughafengebäude besprochen. Und gemeinsam mit beiden Punker-Kollektiven habe er am 4. Januar auch bereits eine Besichtigung vorgenommen, die der Klärung der Frage dienen sollte, ob dort wenigstens zwei Konzerte pro Monat stattfinden können, ob die Bands dort üben können, und ob dort die Lagerung von Technik möglich ist.

Die Debatte drohte schließlich heiß zulaufen, als die Bezirksverordneten Sielaff und Steuckardt (beide CDU) die Aktivitäten des Bezirksamts als „Luftnummer“ bezeichneten, einen vorausschauenden „Plan B“ vermissten und den Weiternutzungsanspruch der Punker und die Verweigerung der Schlüsselübergabe als „Vertrauensbruch“ brandmarkten. Mehrere Zwischenrufer erhielten vom Vorsteher an dieser Stelle einen deutlichen Ordnungsruf. „Was soll denn Ihr Plan B sein“, schleuderte Kevin Kühnert (SPD) der CDU entgegen, „etwa den Schlüssel wegnehmen und die rote Nase aufsetzen?“ Und obwohl der an diesem ersten Sitzungstag des neuen Jahres besonders gut aufgelegte Vorsteher Böltes (SPD) die zahlreich anwesenden Punker bereits mehrfach zur Unterlassung von Beifalls- und Missfallensäußerungen aufgefordert hatte, brandete in ihren Reihen langanhaltender Beifall auf, als Kühnert das Haus aufforderte, „diese wichtige Arbeit in der Jugendeinrichtung nicht nur technokratisch anzugehen. Denn da ist bei den Jugendlichen auch das Herz betroffen!“ Und dann wendete er sich noch in den Beifall hinein direkt an die Punker, als stünde er am Rednerpult einer Versammlung von Jungsozialisten, deren Bundesvorsitzender er ist: „Aber auch ihr seid gefragt. Sagt, was für euch das „Go“ und was das „No go“ ist, damit eine Lösung gefunden werden kann.“

Ottmar Fischer

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