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01.05.2023 / Orte und Plätze

Der Fall der Fällung

Von Ottmar Fischer. Leider findet die April-Sitzung der BVV in TS erst nach dem Erscheinen dieser Ausgabe der Stadtteilzeitung statt, sodass wir erst bei der nächsten Berichterstattung davon Mitteilung machen können, wie das Gerangel um die Machtposten im Bezirk tatsächlich ausgegangen ist.
Tatort Kaisereiche. Vorerst ein Baum weniger. Foto: Thomas Thieme

Immerhin steht das Zahlenwerk der Wiederholungswahl unverrückbar fest. Und weil trotz aller Ankündigungen keine Verwaltungsreform zur Entmischung von Zuständigkeiten in Land und Bezirk und keine Entscheidung zu mehr politischer Funktionstüchtigkeit der Bezirke stattgefunden hat, bleiben auch die Vorschriften des Bezirksverwaltungsgesetzes unverrückbar in Kraft. Und die bestimmen, dass die sechs festgelegten Posten an der Rathaus-Spitze auch jetzt wieder nach dem Verhältnis ihres Stimmenanteils bei der letzten Wahl unter allen Parteien zu vergeben ist, also keine Koalitionsbildung mit Schaffung einer von den Posten ausgeschlossenen Opposition möglich ist.

So hat nun die Gewinner-Partei CDU Anspruch auf einen Posten mehr, die Verlierer-Partei SPD auf einen weniger. Daraus ergibt sich naturgemäß einerseits die Frage, welche Partei nun den Bürgermeister stellt, nachdem die grün-rote Zählgemeinschaft ihre Mehrheit verloren hat, und andererseits, welcher der beiden bislang von der SPD besetzten Posten nun geräumt wird (Verteilung: CDU 3, Grüne 2, SPD 1). Wenn auch erst die tatsächlichen Bezirksamtswahlen in der kommenden BVV-Sitzung die Entscheidung in beiden Fragen sichtbar machen wird, so lässt sich aufgrund der Verlautbarungen aus den Parteien mit einiger Sicherheit vorhersagen, dass der jetzige Bürgermeister Jörn Oltmann (Grüne) im Amt bleiben wird, weil die Linke inzwischen dem grün-roten Bündnis auf der Grundlage der bestehenden Programm-Erklärung beigetreten ist und dabei besondere Aufmerksamkeit auf die Verwirklichung des geplanten Hauses der Jugend am Bahnhof Südkreuz richten will.

Und unter den Stadträten wird ausgerechnet Angelika Schöttler (SPD) das Bezirksamt verlassen, die als ehemalige Bürgermeisterin über zwei erfolgreiche Amtsperioden hinweg wichtige Weichen gestellt hat. Sie schuf in ihrer ersten Amtszeit durch ein striktes Sparprogramm die Voraussetzungen dafür, dass in ihrer zweiten Amtszeit neue Spielräume entstehen konnten. Und sie hat Neuerungen gewagt. So kopierte sie aus Holland den sogenannten Nachtbürgermeister und die sogenannten Nachtlichter nach Schöneberg, wo sie die Sicherheitslage in den Ausgehzonen verbesserten. Sie führte das sozialraumorientierte Quartiersmanagement im Schöneberger Norden zu einem erfolgreichen Abschluss und holte das Beratungszentrum für Prostituierte ins Schöneberger Rathaus. Und ganz am Schluss brachte sie auch noch das schon lange geplante Haus der Jugend auf den Weg. Aber auch als Stadträtin für Stadtentwicklung hütete sie alle Vorhaben zur Verbesserung der Lebensqualität in den Quartieren. Dazu gehörte sowohl die Begleitung des Großvorhabens Neue Mitte Tempelhof um das Tempelhofer Rathaus als auch die Schaffung eines neuen Stadtquartiers am Bahnhof Südkreuz.

Nach eigenen Angaben scheidet sie freiwillig aus dem Amt, nicht aber aus der Politik. Die Mutter dreier Kinder wäre zwar bis zum Ende der Wahlperiode finanziell abgesichert, weil die infolge der Wahlwiederholung notgedrungen ausscheidenden Amtsträger ihre Bezüge behalten. Sie könnte  also ein gutes Stück mehr Familienleben praktizieren. Doch ist in ihrem Fall wohl eher damit zu rechnen, dass sie in der Landespolitik eine neue Rolle übernimmt, etwa im Stab einer möglichen Stadtentwicklungssenatorin Franziska Giffey. Vom Profil her würden die beiden jedenfalls gut zueinander passen.

Von Fall zu Fall
Während also auf Umwegen über eine Wiederholungswahl, über nachfolgende Auseinandersetzungen in Parteigremien und schließlich über interfraktionelle Verhandlungen ganz unverhofft und plötzlich politische Riesen zu Fall gebracht werden können, geht das Fällen in der gewöhnlichen Baumlandschaft ganz direkt und kompromisslos vor sich, wie der unlängst an der Rheinstraße in Sichtweite der Kaisereiche übrig gebliebene Baumstumpf beweist (siehe Foto). Etwa die Hälfte der Berliner Bäume an Straßen und in Grünzonen kämpft im Dauerstress infolge von Dürre und Verschmutzung ums Überleben, so dass dadurch bedingte Krankheiten die Standsicherheit gefährden und selbst prächtige Exemplare gefällt werden müssen, wie in letzter Zeit immer häufiger zu beklagen ist. Doch während der Verlust von Straßenbäumen und ihr Ersatz von der Bevölkerung leicht zu verfolgen ist, geraten Ersatzvornahmen infolge von Baumfällungen aus Anlass von Baumaßnahmen leicht aus dem Blick.

In der letzten BVV-Sitzung beantwortete Stadträtin Ellenbeck (Grüne) eine Große Anfrage der SPD zum Umfang von Fällungen und Ersatzleistungen dahingehend, dass nach der geltenden Baumschutzverordnung der jeweilige Antragsteller eine Wahlmöglichkeit zwischen Ersatzpflanzung und Zahlung einer Ausgleichsabgabe habe. Amtlicherseits werde aber stets eine Ersatzpflanzung angestrebt, weil das natürlich den Grünanlagen zugute kommt, wie das etwa an den vielerorts neuen Birkenpflanzungen zu besichtigen ist. Seit November 2021 seien in 25 von 168 abgeschlossenen Verfahren Fällungen abgelehnt worden, doch rund 600 wurden im gleichen Zeitraum genehmigt. Die in diesen Fällen verabredeten Ersatzpflanzungen würden vor Ort kontrolliert. Und im gleichen Zeitraum seien aufgrund von 54 Fällungen Ausgleichszahlungen in Höhe von 277.860 Euro eingenommen worden. Daraus lässt sich für den Einzelfall ein Wert von rund 5.000 Euro errechnen.

Die vom BV Jürgen Swobodinski (SPD) verfasste Anfrage wollte auch Auskunft dazu, wie sich die Zahl der Baumfällungen weiter aufschlüsseln lässt, etwa nach Maßnahmen auf privaten oder öffentlichen Grundstücken, und nach Vorhaben des Landes Berlin oder solchen von Netzbetreibern. Doch konnte die Stadträtin mangels statistischer Erfassung heirzu keine Aufklärung bieten. Immerhin konnte sie mitteilen, dass im Zusammenhang mit Schulbauten, die das Land Berlin zu verantworten hat, im  genannten Zeitraum 143 Ersatzpflanzungen vorgenommen worden seien. Zu den Ersatzleistungen für genehmigte Baumfällungen durch Leitungsbetriebe und Netzbetreiber teilte die Stadträtin mit, dass dabei die „Methode Koch“ zur Anwendung komme. Dabei handelt es sich um ein mathematisches Verfahren zur Wertermittlung, das neben dem Materialwert auch die Anpflanzungs- und Aufzuchtkosten einrechnet. Eine noch bessere Methode zur Ersatzvornahme bietet allerdings ein neues Bundesgesetz, das es ermöglicht, Ausgleichsmaßnahmen gebündelt in ein bestehendes oder noch zu schaffendes Naturschutzgebiet einzubringen, das auch außerhalb des kommunalen Verantwortungsbereichs liegen kann. Die Wahl einer solchen Lösung würde dann im Einzelfall zwar nicht der Bezirkskasse aufhelfen, dafür aber der Umwelt und dem Klima.

Dass die Förderung von Umwelt und Klima sogar in der eigenen Kommune auch aus der Förderung von bürgerschaftlichem Engagement entstehen kann, hat der mit nahezu enthusiastischer Einstimmigkeit beschlossene Gemeinschaftsantrag von SPD und CDU für einen „Kiezwald durch Aufforstung und Aufwertung des Kleinen Bäumerparks“ in Neu-Tempelhof gezeigt. Dort sollen die 400 Quadratmeter des nördlichen Parkteils am Bäumerplan durch eine Pflegevereinbarung mit dem Bezirksamt in die Nutzungsverantwortung der bereits bestehenden Projektgemeinschaft Parkring e.V. und Kiezwald e.V. überführt werden. Die Maßnahmen zur Flächenentsiegelung und Bodenvorbereitung müssen zunächst jedoch genehmigt werden, und das kann dauern.

Geplant ist, dass der früher als wilder Parkplatz genutzte und jetzt brach liegende Platz aufgeforstet wird und so neben einer verbesserten Aufenthaltsqualität für die Nachbarschaft auch für die Schülerinnen und Schüler der Tempelherren-Schule in der Nähe einen Zugewinn bringen kann. Denn durch das Aufstellen von geeignetem Mobiliar soll eine Einladung sowohl zum Aufenthalt als auch zum Lernen in der Natur ausgesprochen werden. Die offensichtliche Begeisterung der Bezirksverordneten für das Projekt hat aber sicher auch damit zu tun, dass die Kosten des Projekts vollständig von der Stiftung Naturschutz Berlin und der Daniel Schegel Umweltstiftung getragen werden sollen.

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