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04.03.2023 / Projekte und Initiativen

Brückenschlag als Symbol und Realität

Von Ottmar Fischer. Die „Hungerharke“ vor dem ehemaligen Flughafen Tempelhof soll eigentlich an die Luftbrücke vor 75 Jahren erinnern, als die ehemaligen Bombenflugzeuge der Amerikaner und Engländer die West-Berliner Bevölkerung ein Jahr lang mit Lebensmitteln und Kohle versorgten, weil der sowjetische Diktator Stalin die im Potsdamer Abkommen vereinbarten Zufahrtswege nach Berlin gesperrt hatte, um seine deutschlandpolitischen Ziele durch erzwungene Hungersnot durchzusetzen.
Luftbrückendenkmal am ehemaligen Flughafen Tempelhof. Foto: Havelbaude, CC BY-SA 3.0

Das hat bekanntlich nicht geklappt und endete nach vielen weiteren Mühen schließlich mit dem Untergang der Sowjet-Union infolge von Überforderung der eigenen Kräfte.
Auch das ist mittlerweile schon wieder lange her, und fast schon in Vergessenheit geraten ist das bis zum Mauerbau 1961 hochfrequentierte Notaufnahmelager in  Marienfelde, das Millionen von Flüchtlingen aus der damaligen DDR als Brückenkopf für ihren Weg aus der sowjetischen Zwangsherrschaft diente.

In jener Notzeit gab es sogar noch zahlreiche weitere über West-Berlin verstreute Aufnahmelager, wie etwa das auf dem ehemaligen Kasernengelände am Bahnhof Südkreuz, die heute allesamt schon vergessen sind, weil sie im Gegensatz zum immer noch genutzten Hauptlager in Marienfelde nach und nach wieder aufgegeben werden konnten, da die Verteilung und Integration der Geflüchteten in die in der Aufbauphase  arbeitskräftehungrige BRD schnell gelang. So könnte das Luftbrückendenkmal heute durchaus auch dem Gedenken an das solidarische Zusammenrücken in den Bedrängnissen jener Zeit dienen, als die Geflüchteten über eine Luftbrücke in umgekehrter Richtung nach Westdeutschland ausgeflogen werden mussten, um sie dem Zugriff der sowjetisch beherrschten DDR an den Grenzkontrollstellen zu entziehen.

Und seit der postsowjetische Diktator Putin durch seinen imperialistischen Angriffskrieg zur territorialen Wiederherstellung der Sowjet-Union eine erneut in die Millionen gehende Flüchtlingswelle ausgelöst hat, diesmal aus der überfallenen Ukraine, kann die „Hungerharke“ als Sinnbild für Hilfsbereitschaft und Unterstützungswillen nochmals erweitert gedacht werden, dieses Mal als symbolische Brücke der Freundschaft von hier aus in die östliche Himmelsrichtung. Denn wo einst die Flugzeuge mit den Hilfsgütern für Berlin aus dem Westen landeten, gibt es heute eine Container-Siedlung für Geflüchtete aus Gebieten, die ihrerseits ganz aktuell dem unterdrückerischen Machthunger eines despotischen Nachbarn ausgesetzt sind. Und diesmal werden von hier aus durch Ehrenamtliche der Ukraine-Hilfe e.V. die dringend benötigten Hilfsgüter in die gequälte Ukraine gebracht und zu Menschen in Not, die sich auch durch den russischen Bombenterror nicht aus ihrer Heimat vertreiben lassen wollen.

Der auferstandene Georg

So kann also heute die „Hungerharke“ nicht nur als Erinnerungszeichen für den bereits Geschichte gewordenen Brückenschlag solidarischer Unterstützung angesehen werden, sondern mit Blick auf die dunkle Seite der Medaille umgekehrt auch als die bedrohliche Drachenkralle eines mächtigen Ungeheuers, das wie die Riesen aus den alten Märchen gleichzeitig Menschen und Menschlichkeit verschlingt. Doch wo ein Drache den Frieden der Menschen blutrünstig stört, da suchen die Bedrängten auch Trost und Kraft bei Überlieferungen, die von einer glücklichen Überwindung der auferlegten Ungeheuerlichkeiten erzählen. So ist in der leidgeprüften Ukraine bis heute die Erinnerung an den Heiligen Georg wach geblieben, der um das Jahr 303 als christlicher Soldat des römischen Kaisers Diokletian enthauptet wurde, weil  er trotz aller auferlegten Qualen durch die kaiserlichen Folterknechte standhaft blieb. Deswegen wurde er in allen orthodoxen Kirchen zum Erzmärtyrer und in vielen ukrainisch-orthodoxen Kirchen zum Schutzpatron.

In ganz Europa wurde er volkstümlich, als im 11. Jahrhundert die Überlieferungen von seinem Martyrium sich mit der mythischen Figur des Drachentöters verbanden, der einst die schöne Königstochter rettete, als das Los sie zum Opfer für den Tod und Verderben verbreitenden Drachen bestimmt hatte. Der Legende nach besiegte Ritter Georg ihn dadurch, indem er ihn unter dem Kreuzeszeichen mit der Lanze durchbohrte, nachdem die Königstochter das Ungeheuer mit ihrem Gürtel als Halsband in die bedrohte Stadt gezogen hatte und die Einwohnerschaft sich hatte christlich taufen lassen. Der Drache Putin hatte im vergangenen Jahr im russischen Staatsfernsehen vorschnell triumphierend eine alte Volksweise zitiert, wo-nach die begehrte Schöne sich zwar wehren könne, sich am Ende aber fügen müsse. Nach den Erfolgen der ukrainischen Soldaten an der Front und dem nach wie vor unbeugsamen Widerstandswillen der Zivilbevölkerung zu urteilen, scheint sein Vergewaltigungsversuch jedoch zu scheitern. Denn nach einem Jahr Krieg sieht es eher so aus, als habe die „Schöne“ wie in der mittelalterlichen Legende den Drachen an ihrem Gürtel-Halsband ins Land „gezogen“, um ihn hier mithilfe des ritterlichen Georg und der solidarischen Christenheit zu erlegen.

Hilfe kommt auch vom Platz des Luftbrückendenkmals. Die Aktivisten der eigens zu diesem Zweck gegründeten „Spenden-Brücke Ukraine“ haben den historischen Ort der Luftbrücke für ihre Unterstützung der gequälten Ukraine ganz bewusst gewählt, um nach ihren eigenen Worten  den alten Geist der Hilfsbereitschaft, der hier gewaltet hat, mit neuem Leben zu erfüllen. Hier werden Sachspenden nach genauen Bedarfslisten der Empfänger in der Ukraine zusammengestellt. Und den Weg vom Flughafengelände zum jeweiligen Ziel beschreiben die Aktivisten so: „Meist fährt der beladene LKW zu einem grenznahen Ort in „sicheren“ Regionen. Dort wird auf Kleintransporter und PKW umgeladen. Danach erfolgt die Verteilung z.B. an Waisenhäuser und Flüchtlingsunterkünfte“, denn es gibt allein 8 Millionen Binnenflüchtlinge in der Ukraine. Und es gibt auch Lieferungen direkt in die Kriegsgebiete. „Je näher die Hilfsgüter an diese Gebiete gelangen, desto kleiner die Transporter“, heißt es weiter, „die letzte Meile dann auch mal zu Fuß mit Rucksäcken. Die Verteilung am Endpunkt erfolgt durch Helfende an die einzelnen Einrichtungen bzw. direkt an Bedürftige.“

Spenden-Brücke Ukraine, Container am Parkplatz P3 des Flughafens Tempelhof
Columbiadamm 10
Spendenannahme täglich 10.30 Uhr -19.30 Uhr,
Bedarfsliste unter: 01575 311 35 29

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