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03.09.2023 / Projekte und Initiativen

43 Jahre Theaterarbeit mit Senioren

Von Christine Sugg. Mit der Überschrift „Sozial-kulturelle Arbeit im Scheinwerferlicht“ wurde am 14.06.2023 das 43jährige Bestehen des Theaters der Erfahrungen groß gefeiert. Gleichzeitig feierte man auch Abschied und Neuanfang der Leitung des Theaters. An diesem Tag gab es in der ufaFabrik für viele Menschen ein großes Wiedersehen. Es trafen sich Darsteller und viele andere, die das Theater prägten und es eine Zeit lang begleiteten.
Eva Bittner und Johanna Kaiser. Foto: Andi Weiland

Zurück zu den Anfängen. 1980 wollte die Studentin der Theaterwissenschaften, Eva Bittner, weg von der Theorie der Uni, hin zu mehr Praxis. Auf der Suche nach einem geeigneten Arbeitsfeld kam ihr die Idee, die Älteren zum Theaterspielen einzuladen. Sie setzte eine Anzeige in die Zeitung und es meldeten sich drei Interessenten. Schnell kam eine kleine engagierte Theatergruppe zusammen, die von der jungen Frau ehrenamtlich neben ihrem Studium betreut wurde und sich den Namen Spätzünder gab.

Mit dieser Form der Theaterarbeit schuf sie einen völlig neuen Ansatz bei der Freizeitgestaltung von Senioren. Wenn sich die Älteren früher zum Basteln oder zu Kaffeefahrten begegneten, trafen sich die Senioren nun zu Aktion, Schwung und Spaß. Ganz nebenher wurde das traditionelle Altenbild in der Gesellschaft aufgerüttelt bzw. in Frage gestellt.

Nach ihrem Studium 1983 musste die junge Theaterwissenschaftlerin ans Geldverdienen denken. Unverhofft war ihre Seniorengruppe sofort zur Stelle und forderte beim Senat für ihr Theaterprojekt  Unterstützung und Geld.  Glücklicherweise waren die Senatsmitarbeiter dem Projekt gegenüber aufgeschlossen und ermöglichten eine Honorartätigkeit für die Leiterin Eva Bittner. Als Träger wurde bald darauf das Nachbarschaftsheim Schöneberg gewonnen. Dem Vorstand des Nachbarschaftsheims war das Seniorentheater durch eine Aufführung in der ufaFabrik nicht unbekannt. Somit war das Fortbestehen des engagierten Theaterprojekts erstmal gesichert. Durch die Zusammenarbeit mit der Sozialpädagogin Johanna Kaiser startete ein kleines Theaterteam, das sich als Duo gemeinsam auf den Weg machte. 1984 wurden beide Gründerinnen beim Nachbarschaftsheim fest angestellt. Zeitgleich nannte sich das Projekt nun Theater der Erfahrungen und umfasste von da an drei aktive Seniorentheatergruppen.

Das Theater der Erfahrungen versteht sich als mobiles Laientheater, eine Art Volkstheater, bei dem jede/r mitmachen kann, egal welche Biografie, welches Alter, welchen Beruf er/sie hat. Die Altersgrenze der Darsteller liegt meist bei 50 aufwärts. Inhaltlich wurde im Lauf der Jahre manch heißes Eisen angefasst, so z.B. Themen wie Demenz, Tod, Klimawandel, Migration oder Kriegserfahrungen. Die erzählten Geschichten sind aus dem ganz normalen Leben gegriffen, zeugen von der Lebenserfahrung der Spieler. So finden sich darin Tragik und Komik, Berliner Schnauze und Jargon. Die Theatergruppen haben kein festes Theater, sondern spielen fast überall, in Seniorenfreizeitstätten, Kirchen, Schulaulen oder Kulturzentren – einfach da, wo eine kleine Spielfläche vorhanden ist.

Mittlerweile ist das Projekt stark angewachsen und umfasst die drei Gruppen Spätzünder, Rost schwung und Bunte Zellen sowie viele Nachwuchsgruppen in verschiedenen Bezirken. Der Rostschwung entstand 1993 aus der Zusammenarbeit der Theatergruppe Ostschwung und dem Bürgerverein Berolina. Während sich der Ostschwung zunächst mit den DDR-Biografien seiner Mitspieler und den Erfahrungen nach 1989 befasste, spielt die Gruppe heute Stücke über Liebe im Alter oder Klimawandel. „Umweltgeflüster“, die neueste Produktion des Rostschwungs, wird im Oktober Premiere feiern.
Und Deutschlands älteste Seniorentheatergruppe aus dem Jahr 1980, die Spätzünder, gibt es immer noch!!! Aktuell machen sie Improvisationstheater, ohne Text und Bühnenbild, aber mit viel Energie und Beteiligung aus dem Publikum „Von jetzt auf gleich“ heißt das neue Stück. Außerdem haben sie die Seniorenschnäppchenshow „Hartz IX“ im Repertoire.

Erwähnenswert ist auch die Theatergruppe Bunte Zellen. Bunt, weil es sich um eine multikulturelle Altentheatergruppe handelt. 1983 nannte sich diese Theatergruppe noch Graue Zellen, aber dann kamen 2005 türkische Mitspieler dazu und so wurde der Name geändert.

In den 43 Jahren des Theaters gab es natürlich Höhen und Tiefen, vor allem aber immer wieder finanzielle Probleme. Dann waren das Engagement und die Kreativität der Gründerinnen gefragt. Entlastung bei der Finanzierung brachte vor 15 Jahren die Förderung als EU Projekt. Auch die Tatsache, dass Johanna Kaiser 2008 zur Professorin an der Alice Salomon Hochschule berufen wurde, brachte finanzielle Erleichterung und weitere Möglichkeiten bei der Theaterarbeit.

Nach 43 Jahren Zusammenarbeit übergeben die beiden Gründerinnen nun den Staffelstab an Grit Höseler-Irmak. Die neue Leiterin verfügt über Erfahrung in der Konzeption von Projekten und ist von Hause aus Theaterpädagogin. Unterstützt wird sie von einem festen fünfköpfigen Team und von immer wieder wechselnden Praktikanten.

Der Fachfeiertag des Theaters der Erfahrungen war ein Anlass zum Feiern, denn er beinhaltete die Würdigung von 43 Jahren Theaterarbeit mit Senioren sowie die Vorstellung der neuen Leitung und der aktuellen Mitarbeiter. Viele Reden von Wegbegleitern wie z.B. von Herrn Machura vom Senat oder von Frau Strobl-Zinner vom Nachbarschaftsheim Schöneberg ehrten die Arbeit der beiden langjährigen Leiterinnen. Für Auflockerung zwischen den einzelnen Programmteilen sorgten die „Theatralen Zwischenspiele“ der verschiedenen Theatergruppen sowie Essen und Getränke. Das Fachliche kam ebenfalls nicht zu kurz, weil es nachmittags mehrere Fachrunden zu Themen wie „Die Rolle von Humor, Lachen, (Selbst)-Ironie in der Seniorentheaterarbeit“ oder „Veränderungen des Altenbildes in den letzten 43 Jahren sowie den Konsequenzen daraus“ gab. Insgesamt eine gelungene Mischung aus Feiern, Gedankenaustausch und Spiel … eben ganz im Sinne des Theaters der Erfahrungen.

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