Zur Orientierung für Menschen mit Behinderungen

Kapitel 6

Inklusion

Einführung von Markus Runge

Am 13. Dezember 2006 verabschiedete die UN-Generalversammlung das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Wenige Monate später im April 2007 ist Georg Zinner zur Fachtagung der Lebenshilfe Berlin mit dem Thema „Leben im Quartier – Inklusion konkret“ eingeladen. In seinem Statement findet sich noch nicht der Begriff der Inklusion, aber in seinen Darlegungen wird schnell deutlich, wie notwendig ihm diese neuen Entwicklungen und Forderungen erscheinen. Schon in seiner Kindheit und Jugend war für ihn die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am dörflichen Leben erlebbar geworden. Einer ersten Integrationsbewegung, die für Deutschland in Berlin-Friedenau mit dem Kinderhaus Friedenau und der Fläming-Grundschule einen wichtigen Ausgangspunkt hatte, muss – so ist seine Forderung – eine zweite Integrationsbewegung folgen. „Es kommt darauf an, die Alltagsinstitutionen wieder tauglich für die Integration auch geistig behinderter Menschen zu machen. Nicht nur die Kindertagesstätte, nicht nur die Schule, auch die Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtung, auch den Nachbarschaftstreff und auch die Firmen im Stadtteil… Entscheidend ist die Integration in den Alltag, in das normale Leben und nicht die Ausgrenzung in eine schöne, aber doch auch künstliche Behindertenwelt.“. Mit dieser Forderung liefert er auch gleich konkrete Vorschläge mit, wie dezentralisierte und ganz neue Wohnformen, persönliche Budgets und die Einbindung von Ehrenamtlichen. Und visionär wie Georg Zinner einfach war, hebt er die Bereicherung der ganzen Gesellschaft hervor, die damit einhergehen würde. Er sieht die Zeit reif dafür, „die Verantwortung auch für geistig behinderte Menschen in die Nachbarschaft zurückzugeben und diese Verantwortungsbereitschaft mehr zu fördern, als die „Sonderinstitutionen“.

2009 auf der Fachtagung der Katholischen Hochschule für Sozialwesen mit dem Thema „Kundenstudie – Unterstütztes Wohnen in Berlin“ - also gerade mal ein halbes Jahr nach Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention durch Deutschland – sympathisiert Georg Zinner dann ganz offen mit dem Begriff der Inklusion. Und er stellt die Nachbarschaftsheime und Stadtteilzentren als zentrale Orte der Förderung von Inklusion dar, „als Orte, die niemanden ausgrenzen und alle einladen zum Mitmachen und Mitgestalten“. Und – auch das ist typisch für ihn - er will gemessen werden an diesem Anspruch, ein Haus für alle im Stadtteil zu sein und geht mit eindrucksvollem Engagement voran und in die Umsetzung. Dazu finden sich zahlreiche praktische Beispiele, wie Arbeits- und Ausbildungsplätze für Menschen mit geistigen Behinderungen im Nachbarschaftsheim Schöneberg. Aber er fordert diesen Aufbruch ebenso von allen anderen Nachbarschaftsheimen und Stadtteilzentren: „Nun müssen sie auch beim Thema Inklusion stärker herausgefordert werden und selbst aktiv werden. Sie bringen dafür beste Voraussetzungen mit ...“

Georg Zinners Beitrag auf der Fachtagung 2012 in Kooperation zwischen vska und die reha e.V. trägt den Titel „Nachbarschaften stärken“. Hier nimmt er noch mal den Faden seiner beiden ersten Beiträge zu Inklusion auf. In den Nachbarschaften sieht er das zentrale Potential, Kreativität und Verantwortung zu mobilisieren. Jedoch passiert das nicht zwingend von selbst sondern es braucht nachbarschaftliche Unterstützungs- und Organisationsformen, wie die Nachbarschaftsheime und Stadtteilzentren und andere mehr, die dieses Potential befördern. Und damit wendet er sich zentral an Politik und Verwaltung und fordert für diese Institutionen, die sich bürgerschaftlichem Engagement offen zeigen, die Bündnisse für soziale Nachbarschaften fördern und die Stärkung von Nachbarschaften bürgerorientiert begleiten, mehr Handlungs- und Gestaltungsspielräume: „Das wertvollste Gut ist ihre Freiheit, für und mit den Bürgern Inhalte und Programme zu entwickeln und zu gestalten. Und die fördernde Politik und eine hoffentlich dienende Verwaltung müssen wissen, dass diese Freiheit die Voraussetzung für Erfolg und Attraktivität ist.“

Markus Runge ist stellvertretender Geschäftsführer des Nachbarschaftshauses Urbanstraße e.V.