Zur Orientierung für Menschen mit Behinderungen

Einführung von Herbert Scherer

Pragmatische Programmatik - Variationen zum Thema "Sozialkulturelle Arbeit" 

1972 hatte sich der“ Verband Deutscher Nachbarschaftsheime“ nach heftigen internen Debatten in „Verband für sozial-kulturelle Arbeit“ umbenannt. Diese Namensgebung stellte einen reformerischen Kompromiss zwischen den Traditionalisten, die am bisherigen Namen festhalten wollten und den jungen Rebellen, die sich für den Namen „Verband für Gemeinwesenarbeit“ stark gemacht hatten. Eine ausgereifte Programmatik war zu diesem Zeitpunkt mit der neuen Namensgebung nicht verbunden. Es handelte sich eigentlich nur um die Übersetzung des Namens des niederländischen Partnerverbandes. Der dortige Dachverband der Nachbarschaftsheime nannte sich „Sociall kulturell Vormingswerk“. Im niederländischen Sprachgebrauch versteht man unter sozial-kultureller Arbeit alle Sparten sozialer Arbeit, die nicht im engeren Sinne fürsorgerisch sind.

Als Georg Zinner in den 80er Jahren die Arbeit des Nachbarschaftsheims Schöneberg, dessen Leitung er im Jahr 1978 übernommen hatte, umgestalten wollte, gab er dem Begriff „sozial-kulturelle Arbeit“ eine programmatische Dimension und nutzte diese als Möglichkeit, die bestehende Praxis an dem höheren Anspruch zu messen, zu dem man sich mit der Namensgebung vermeintlich schon verpflichtet habe.

Dieser Einstieg in die Debatte hat zu einem Missverständnis geführt, dessen Auswirkungen zwei  Jahrzehnte überdauert haben und dessen Nachwehen noch heute manchmal zu spüren sind. Es gab einige, die in Georg Zinners Überlegungen und Thesen einen Theorieansatz sahen, den man auf theoretischer Ebene (mit einer richtigeren Theorie) bekämpfen müsse. Aber es ging Georg Zinner weder im ersten, noch in den weiteren über Jahrzehnte verteilten Aufsätzen zur sozial-kulturellen Arbeit um eine theoretische Herleitung von Ansprüchen an die Praxis der Nachbarschaftsarbeit.  Umgekehrt: Am Anfang stehen Überlegungen zu Verbesserung und Weiterentwicklung der praktischen Arbeit, denen mit der programmatischen Interpretation des Begriffs sozial-kulturelle Arbeit ein argumentativer Begründungszusammenhang gegeben wird, der diese Überlegungen in einen größeren Zusammenhang stellt und ihnen eine größere Überzeugungskraft verleihen soll.

Bei allen Unterschieden, die dem jeweiligen Kontext geschuldet sind, weisen Georg Zinners Überlegungen in den entscheidenden Aspekten eine große Kontinuität auf, weil sie auf einer ethischen Grundlage stehen, die mit unerschütterlichen Überzeugungen einhergehen. Alles, was die Menschen – mit welchen Begründungen auch immer – kleiner macht als sie sind oder sein können, ist Georg Zinner zutiefst suspekt. Es geht ihm durchgehend darum, auf die Potentiale der Menschen zu blicken und sie zu stärken – und das nicht nur in der Theorie sondern in allen Aspekten der Arbeit des Nachbarschaftsheims.

Die unermüdliche Wiederholung dieser Grundpositionen in einem um den anderen Aufsatz kann als Indiz dafür verstanden werden, dass es sinnvoll ist, der Sozialarbeit diese einfachen Grundsätze immer wieder vorzuhalten, weil sie nach wie vor dazu beitragen können, die praktische Arbeit gründlich zu verbessern.

Die Beschreibung der konkreten Umsetzung dieser Ansätze im Nachbarschaftsheim Schöneberg  sollte in diesem Zusammenhang nicht als „Eigenlob“ missverstanden werden. Sie soll vielmehr den Beleg für die Machbarkeit und den Pragmatismus dieser Programmatik liefern und diejenigen widerlegen, die sich den machbaren Verbesserungen mit resignativem Pessimismus, fundamentalistischen Radikalforderungen oder vermeintlicher politischer Korrektheit entziehen.

Herbert Scherer war lange Jahre im Verband für sozial-kulturelle Arbeit tätig, zuerst ab 1986 als Projektberater und später von 1990 bis 2010 als Geschäftsführer.