Zur Orientierung für Menschen mit Behinderungen

25.06.2022 / Stadtteilzeitung separat (Zeitungsinhalte)

Was verbindet Schöneberg mit der Ostsee?

Christine Bitterwolf. Das ist klar zu beantworten: Nichts. Und doch … auch Schöneberger Bürger können von einer Reise über die Ostsee träumen. Wohlgemerkt nicht an die Ostsee, sondern auf der Ostsee. Und zwar nicht mit einer Fähre oder mit einem Ausflugsdampfer, sondern mit einem Großsegler, einem über 100 Jahre alten Segelschiff.
Foto: Christine Bitterwolf

Die Reise beginnt in Kiel

Man betritt das imposante Schiff, einen Drei-Master, über die Gangway direkt an der Tür zum Salon. Drinnen glänzt das Mahagoniholz und das Geländer zum Niedergang schimmert golden. Hier geht es steil hinab zu den Kabinen, die Stufen liegen mehr über- als voreinander. Das Schiff kann etwa 35 Passagier beherbergen, ist aber selten voll ausgebucht. Offenbar genießen die Leute Segelschiffsreisen lieber mit Piratenfilmen vor dem Fernseher.

Vor dem Abendessen stellt der Kapitän seine Mannschaft vor, 4 Mann an Deck und 3 Mann für den Service. Es folgen die Sicherheitshinweise und der junge Matrose hat sichtlich Spaß daran, den Umgang mit der Schwimmweste vorzuführen wie Stewardessen im Flugzeug.
Da kommt auch schon die erste Planänderung, der Wind steht günstig, der Kapitän möchte noch am Abend ablegen und schon in der ersten Nacht durchsegeln. Die Leinen werden losgeworfen und kaum aus dem Hafen heraus, werden die Segel gesetzt. Der Motor wird abgeschaltet und das Schiff gleitet geräuschlos aufs Meer hinaus.

Am nächsten Morgen werden alle Passagiere zusammen gerufen und es gibt eine kleine Schiffskunde. Der 2. Matrose, ein junge Frau, die sich aufs Steuermannspatent vorbereitet, erklärt die verschiedenen Segel, vorne die Clüver, oben die Bramsegel und achtern das Besan. Sie zeigt mit welchen Leinen die Segel bedient werden und wo die Brassen festgelegt sind, mit denen die Rahen bewegt werden. Einige Reisegäste sind verwirrt, von den vielen seemännischen Ausdrücken. Die Matrosenfrau malt zum besseren Verständnis alles mit Kreide auf die Deckplanken.
Während des ganzen nächsten Tages wird gesegelt. Die Sonne scheint angenehm warm, nur der Wind ist kalt. Erste Schaumkronen auf den Wellen deuten auf Windstärke 5. Der Kapitän hat fast alle Segel gesetzt, mehr als 700 m2 Tuch. Das gibt wunderbar Fahrt ins Schiff. Herrlich. Weit und breit nur Wasser und Wind. Das Schiff hat eine leichte Schräglage, noch nicht mal 10%, und trotzdem laufen die Landratten recht unsicher über das Deck. Wer jetzt nicht seefest ist, sollte schnell eine Reisetablette einnehmen, um den Magen zu beruhigen.
Bei gelegentlichen Manövern werden die Mitreisenden gefragt, ob sie mit zufassen wollen um die Segel zu bedienen. Da der Steuermann nicht vom Kurs abfällt, werden die Manöver bei vollem Wind gefahren und da ist es gut, wenn zwei oder drei Mann an den Leinen ziehen. Zum Schluss kommt dann der junge starke Matrose und setzt sie alleine noch mal kräftig durch, bevor er sie belegt. Alle bewundern ihn dafür, doch er dreht sich selbstverständlich lächelnd um und geht. Wer nicht mitarbeiten will, braucht nicht. Der bleibt einfach sitzen und lässt sich den Wind um die Nase wehen. Ein paar ältere Damen gehen lieber in den Salon, dort gibt es inzwischen Kuchen.
Am folgenden Tag ist tatsächlich Flaute. Die Ostsee liegt spielglatt und glitzert silbern im Sonnenlicht. Zwei junge Leute wollen in die Masten hochklettern. Sie müssen ein Sicherheitsgeschirr anlegen und bekommen vom 1. Steuermann die genauen Erklärungen, wie sie die Schäkel in den Wanten einhaken sollen. Sie wagen sich fast 15 Meter hoch und werden von unten eifrig fotografiert. Manch Mitsegler beobachtet die Mutigen aber auch mit zitternden Nerven. Später lässt der Kapitän das Beiboot zu Wasser und die Touristen werden langsam um das große Schiff herumgefahren, um Fotos zu machen.

In Rönne auf Bornholm gibt es einen Tag Landaufenthalt. Den nutzt jeder nach Belieben. Aber fast jeder geht zufällig am benachbarten Hafenbecken vorbei, wo gerade die Yacht des dänischen Kronprinzen liegt. Schneeweiß ist sie, vorne und hinten vergoldet, an der Gangway steht ein Wachsoldat in weißer Uniform.

Eine Nacht ankert das Schiff im Greifswalder Bodden. Wer von den Gästen möchte, kann mit der Mannschaft ab-sprechen, dass er selbst mal an einer Nachtwache teilnimmt, zum Beispiel um den Sonnenaufgang zu beobachten.

Der letzte Hafen Stralsund wird nun durch den Strelasund angefahren. Erwartungsvoll stehen alle Passagiere am Bug und beobachten wie die alte Klappbrücke im Rügendamm aufgeht.
Gleich dahinter fährt das Schiff unter der neuen Rügenbrücke durch. Dies-mal gehen die gespannten Blicke nach oben. Der Großmast hat eine Höhe von 31 Metern. Passt er darunter durch?
Im Stadthafen liegt die Gorch Fock I. Sie ist ein Museumsschiff, dessen Instandsetzungsarbeiten wohl noch ewig dauern werden.

Die Passagiere sitzen noch ein letztes Mal zusammen bevor dieser Segeltörn endet. Die Wenigsten sind das erste Mal auf einem Großsegler gefahren, viele hatten schon mehrere Schiffsreisen hinter sich, einige haben selbst eine Segelyacht.
Jetzt überlegen sie, mit wie viel Seemannsgarn sie von den Erlebnissen dieser Traum-Reise zu Hause erzählen.