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25.09.2012 / Orte und Plätze

Von der Kohlenhandlung zum Denkzeichen?

An der Torgauer Straße auf der „Roten Insel“ soll ein neues Zeitalter beginnen. Der Bezirk wird entlang der Ringbahn 2013/14 einen Grünzug anlegen. Der Fördertopf Stadtumbau West macht diese teure Maßnahme möglich.
Links das vom Abriss bedrohte Gebäude der ehemaligen Kohlenhandlung in der Torgauer Straße. Foto: Dörte Döhl
Modelle für die Neugestaltung eines Gedenkortes, ausgestellt im Rathaus Schöneberg
Der Künstler Albrecht Fersch mit seinem Model

Dazu ist zunächst die Beräumung der gewerblich genutzten Grundstücke nötig. Rechtzeitig hat daher die BVV 2009 den Bezirk einstimmig aufgefordert zu prüfen, wie an die einstmals dort gelegene Kohlenhandlung Bruno Meyer Nachfahren als Stätte des Widerstands erinnert werden kann. Ohne sich mit der Geschichte des Ortes oder der vorhandenen Bausubstanz zu beschäftigen, teilte das Bezirksamt 2010 mit: „Es scheint mit Blick auf die historischen Ereignisse vor Ort nicht angemessen, hier Gebäudeteile zu sichern bzw. bodendenkmalpflegerische Arbeiten durchzuführen. Der Aufwand stünde hier in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn.“

Die Berliner Geschichtswerkstatt und andere haben sich hingegen für den Erhalt des dort vorhandenen Häuschens ausgesprochen. Aber worum geht es bei dem Grundstück Torgauer Straße 24-26? Der Ort ist eng mit Julius und Annedore Leber verbunden, die die Kohlenhandlung von 1939 bis 1968 führten. Der Betrieb nahm den aus der KZ-Haft entlassenen Julius Leber, der bis 1933 Reichstagsabgeordneter der SPD gewesen war, auf. Lübeck war seine politische Heimat gewesen, nun suchte er die Anonymität der Großstadt. Der Kohlenhandel wurde zum Beruf des Journalisten, der 1939 Teilhaber der Firma wurde. Theodor Heuss hat ein lebendiges Bild des politisch ungebrochenen „Kohlenhändlers“ überliefert, der Geschäft und Widerstand zu verbinden wusste. Das Bürohäuschen sei eine „Verschwörerbude“ gewesen, schrieb er.

Widerstand im Alltag zur Zeit der Nazi-Herrschaft gab es auch an anderen Orten, nicht zuletzt auf der „Roten Insel“. Julius Leber ging jedoch konsequent einen Schritt weiter. Ab 1943 stand er in engem Kontakt zu Mitgliedern verschiedener aktiver Widerstandskreise, die den Umsturz des Regimes planten. Vom Rand der Verschwörer unterschiedlicher politischer Färbung rückte Leber relativ schnell ins Zentrum. Er stand im Austausch mit dem konservativen Carl Friedrich Goerdeler, dem militärischen Widerstand und dem Kreisauer Kreis. Ein zentraler Ort des unauffälligen Netzwerkens war die Kohlenhandlung. Dort trafen ihn Moltke, Wartenberg oder von Trott zu Solz genauso wie Stauffenberg und Ludwig Beck.
Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Verhaftung Julius Lebers in der Kohlenhandlung am 5. Juli 1944 kam es endlich zum Attentatsversuch auf Hitler, der am 20. Juli scheiterte. Schnell war klar, dass Leber in die Umsturzpläne involviert war. Es folgten Folter, Sippenhaft für die Familie und ein Schauprozess vor Freislers Volksgerichtshof im Kammergericht am Kleistpark. Das Todesurteil wurde am 5. Januar 1945 in Plötzensee vollstreckt.

Annedore Leber fühlte sich dem Vermächtnis ihres Mannes verpflichtet. Sie baute nicht nur die zerstörte Kohlenhandlung wieder auf, sondern richtete an der Torgauer Straße den kleinen Mosaik-Verlag ein. Durch ihre Publikationen setzte sie in den Nachkriegsjahren schon früh ein Zeichen gegen das Verdrängen, lange bevor eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Widerstand stattfand.
Das kleine Grundstück an der Torgauer Straße könnte ein Ort lebendiger Geschichtserfahrung werden, gerade weil es durch seine Unscheinbarkeit auffällt und den zivilgesellschaftlichen Widerstand dokumentiert. Das allerdings setzt ein historisches Konzept voraus, das seiner überregionalen Bedeutung Rechnung trägt. Das hat der Bezirk derzeit nicht. Was er hat, ist das Ergebnis eines beschränkten künstlerischen Wettbewerbs. Ein „Denkzeichen“ soll anstelle des kleinen Häuschens von Annedore Leber treten, das sich der Bezirk nicht in der Lage sieht zu erhalten. Der prämierte Entwurf von Katharina Karrenberg kann jedoch an dieser Stelle nicht überzeugen.

Die BVV will jetzt mit dem Bezirk an einem Runden Tisch (27.9.12) die weitere Vorgehensweise beraten. Aktuelle Informationen finden Sie auf www.stadtteilzeitung.nbhs.de.

Dörte Döhl

Die Ergebnisse vom Kunstwettbewerb zum Denkzeichen Kohlenhandlung Annedore und Julius Leber wurden vom 13. bis 26. September 2012 im Rathaus Schöneberg ausgestellt.

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