Zur Orientierung für Menschen mit Behinderungen

16.06.2018 / Projekte und Initiativen

Veronika, der Lenz ist da!

Der große, hohe, helle Raum „Voltaire“ in der Urania ist gut gefüllt. Um die 60 Menschen, überwiegend 50+, mehrheitlich Frauen, wenige Männer, bewegen sich Ssssss- summend, einen Zeigefinger dazu auf und ab bewegend, wuselnd um einander herum bis die Musik aussetzt und sich jeder der suchenden Finger auf der Schulter eines Nachbarn niederlässt.
Foto: Christoph Müller-Girod

Im Frühling sind die Bienen auf Achse, suchen sich ihre Blüte und fliegen nach getaner Arbeit wieder los. Weiter geht´s: Ssssss-Summ. Was zunächst anmutet wie ein Kita-Spiel, ist eine gelungene Ein-Stimmung, im doppelten Wortsinn. Das Eis ist gebrochen, man schaut  in lachende, fröhliche  Gesichter.

Unser menschliches Sprachorgan gibt mehr her als nur zu sprechen. Denn wer sprechen kann, kann auch singen! Das versucht der Chorleiter des „Ich-kann-nicht-singen-Chors“, Michael Betzner-Brandt, uns in seinem eineinhalbstündigen Workshop zu vermitteln. Es geht nicht um „schöne Stimmen“. Die besitzen unzweifelhaft sowohl unser Chorleiter als auch die ihn bei dem Workshop begleitende Sängerin Lydia Schulz. Es geht um Inneres, um ein stimmlich geäußertes Körpergefühl. Das kann sich summend, brummend, in irgendwelchen leisen La La Las, rhythmischen Schwabdidus oder auch in geschmetterten Songs ausdrücken. Und völlig losgelöst davon, wie sich das vielleicht für Dritte anhört. Singen heißt nicht nur Liedern mit vorgegebenen Tönen folgen. Es ist eine Art, seine Gefühle auszudrücken, so wie Mimik, Gesten oder Sprache. Singen ist nicht nur gesund, sondern macht auch ganz einfach gute Laune.

Michael Betzner-Brandt schafft es tatsächlich, unserer Gruppe die Scheu vor lauten, leisen oder auch geschrieenen stimmlichen nonverbalen Äußerungen zu nehmen. Die diversen Übungen beziehen bei der Stimmtonlage – tief, mittel, hoch – immer auch den Körper mit ein. Entspannung, fühlen, wo die jeweiligen Töne entstehen oder sich aufbauen: Becken, Mitte, Brust, Kehlkopf, Schädeldecke. Wir lernen, die Töne zu ertasten.   

Aber natürlich singen wir auch – und zwar so richtig im Allgemeinverständnis. Mit der Sängerin Lydia Schulz proben wir arabische Lieder, dafür hat sie zum Teil auch deutsche Texte geschrieben. Die Tonfolgen sind ungewohnt, den Rhythmus bekommen wir aber mit entsprechenden Vorabübungen hin. Mittlerweile sind wir hochmotiviert! Mit den arabischen Texten, die mittels Beamer an die Wand projiziert werden, hapert es allerdings etwas. Aber das tut dem Vergnügen keinen Abbruch, gemeinsam geben wir unser Bestes.

Vor sieben Jahren gründete Michael Betzner-Brandt den Chor. Seit 2013 findet der Workshop monatlich in der Urania statt und erfreut sich jedes Mal regen Zuspruchs. Stammgäste, Neugierige, zögerliche Neulinge der Fraktion „das kann ich echt eigentlich nicht, möchte es aber gerne “ – jeder ist willkommen und wird sich überraschend schnell in dem Sangeskollektiv wohl fühlen.

Zum Ende des Workshops lassen wir dem Erfahrenen und Erlernten völlig freien Raum: Die einen hoch, die anderen tief, der Rest in der nicht zu unterschätzenden Ton-Mitte. Alle singen aus voller Kehle, passend zum Frühling: Veronika, der Lenz ist da!

Der Song, geschrieben von Walter Jurmann für die Comedian Harmonists, ist jedem von uns bekannt,  der Text dankenswerterweise wieder an der Wand abzulesen. Und dann noch Georg Kreislers „Tauben vergiften im Park“. Ein echtes Spektakel! Eine Combo von 60 Leuten, die alle von sich meinen, nicht singen zu können, schmettert aus voller Kehle. Keine Ahnung, wie sich das für Außenstehende angehört hat. Für uns der perfekte Start in den Frühling.       
 
Nächster Workshop:
So 13.5.2018 in der Urania
Teilnehmergebühr 12/ erm. 10 Euro. www.chorkreativ.de

Rita Maikowski

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