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15.03.2020 / Gewerbe im Kiez

Malerische Versuche über die Zeit

In der „Kleinen Galerie“ in Friedenau findet noch bis 3.4.2020 eine bezaubernde Ausstellung der Malerin Ellen Keusen statt. Studio Ellen Keusen nennt sich das Projekt.

In 63 kleinformatigen Aquarellen hat sie das Heranreifen einer Kastanienfrucht zeichnerisch dokumentiert. Sie hat sich 3 Monate Zeit genommen, wunderschöne Kastanien zu aquarellieren, jeden Tag eine neue Kastanie in einem neuen Stadium der Entwicklung der Frucht.

Über 1 Jahr lang versenkte sich Ellen Keusen über viele Stunden darin,  Tausende von kleinen Strichen aufs Papier zu bringen, um einen „Punkt“  darzustellen. Die Kontur dieses „Punktes“ löst sich fast unmerklich im Hintergrund des weißen Papiers auf.  Der Punkt ist kein Punkt im strengen Sinne. Das Zentrum ist nicht zu fixieren, denn es ist eine flüchtige Verdichtung von Intensität. Es flimmert vor unseren Augen. Und es ist unmöglich, den Rand der Zeichnung zu bestimmen. Er verschwindet unmerklich in seinem hellen Hintergrund.

Im Projekt Transit, dessen Realisierung auf viele Jahre angelegt ist, variiert Ellen Keusen die Farbintensität  und Größe zweier sich in verschiedener Entfernung zueinander befindender Kreise. Dabei bedient sie sich schwarzer und roter Aquarellstifte. Damit thematisiert sie die verschiedenen Formen, wie Beziehungen zwischen zwei Individuen gestaltet werden.  Wir sehen 2 etwa gleich große Kreise ähnlicher Farbintensität, aber auch große Unterschiede sowohl in der Größe wie auch im Abstand. Mal gibt es Überschneidungen und mal geht der eine Kreis völlig im andern unter. Wieviel Zwischenraum wird gebraucht? Wie gleichwertig oder  wie verschieden sind die beiden Beteiligten? Die Punkte sind wunderschön zart, jeder erweckt eine andere Erzählung über Zeit und die Beziehung von Zeichen in der Zeit und im Raum.

Um die Beziehung zwischen zwei Menschen geht es im Buchprojekt „Berta, ich“. Darin werden auf 360 Seiten ein Versprechen oder eine Ankündigung gegeben, etwas Bestimmtes für den andern tun zu wollen. Aus den Texten wird deutlich, dass es sich um Worte handelt, die von einem Elternteil an ein Kind gerichtet sind.  „Berta, Ich“ ist ein künstlerisches Mahnmal, das an die jüdischen Kinder erinnert, die während der Nazi-Herrschaft nach Ausschwitz deportiert und dort getötet wurden. Die Versprechen sind die Worte der Eltern an ihre Kinder, die auf die Reise geschickt werden, um sie der drohenden Vernichtung zu entziehen. Die Versprechen der Eltern können nicht eingelöst werden.

In 2 großen Zeichnungen führt  Ellen Keusen das Projekt fort. In Form verschiedener, für die jeweilige Individualität stehender Zeichen vereint sie die Kinder symbolisch auf der Leinwand.

Mir gefallen die Zeichnungen, die ich in dieser Art noch nirgends gesehen habe. Der Betrachter wird zum Teil des Bildes, er entscheidet, wie er das Bild sehen möchte. Gewissheiten werden in Frage gestellt. Dazu trägt die zeichnerische Genauigkeit der Künstlerin wesentlich bei.

Ellen Keusen hat an der Werkkunstschule in Düsseldorf und an der HdK in Berlin studiert. Sie hat im In- und Ausland ausgestellt. Arbeiten von ihr befinden sich in Museen und Privatbesitz.

Eva Schenk

Weitere Informationen zur Ausstellung finden Sie unter www.diekleinegalerie-berlin.de

 

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