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02.07.2017 / Projekte und Initiativen

Kunstgold der zwanziger Jahre

Das Georg-Kolbe-Museum zeigt Skulpturen von 14 namhaften Künstlern aus der Sammlung Alfred Flechtheim und bietet in Fotos und Dokumenten einen informativen Einblick in diese aufregende Zeit der deutschen Moderne.
Ernesto de Fiori, Marlene Dietrich, 1931, Stucco, teilweise farbig gefasst, 38 cm, Foto G Ladwig Sammlung, Karl H Knauf
Blick ins Foyer, Alfred Flechtheim. Kunsthändler der Moderne, Georg Kolbe Museum, Berlin, Foto: Enric Duch, VG Bild-Kunst 2017

Das „Alte und Morsche“ sei zusammengebrochen, verkündete Philip Scheidemann (SPD) am 9. November 1918 aus einem Fenster des Reichstags und rief die Republik aus. Nach dem Tagungsort der verfassunggebenden Nationalversammlung ist sie als die Weimarer Republik in die Geschichte eingegangen. Ihre 14 Jahre lassen sich überschlägig in drei Teile gliedern: Ihren schweren Beginn im Stolperschritt nach der Kriegsniederlage, ihre Konsolidierung in den „Goldenen Zwanzigern“ ab 1925, und ihren Untergang in der Weltwirtschaftskrise ab 1929. Doch während das Elend zu Beginn und am Ende deutschlandweite Erscheinungen waren, blieb das „Goldene“ der Zwischenzeit eine Angelegenheit der Hauptstadt Berlin. Dort hatten sich Künstler und Intellektuelle zusammengefunden, die den neuartigen Erscheinungsformen des republikanisch befreiten Lebens den goldenen Glanz eines unerhörten Aufbruchs verliehen.

Ein weithin strahlender Kristallisationspunkt dieses freiheitlichen Lebensgefühls war der Galerist Alfred Flechtheim, auf dessen legendären Festen die wichtige Welt aus Politik und Gesellschaft mit der Welt des schönen Scheins zusammentraf. Und der durchweg dandyhaft gekleidete Galerist verstand es bezeichnenderweise, auch die damals modernen Bubikopf-Frauen um sich zu scharen.  Über diese meinte die Schauspielerin Tilla Durieux, die zum engeren Freundeskreis Flechtheims gehörte, sie seien trotz Bubikopf, Gymnastik und Berufsleben hinter der Fassade ebenso weiblich und romantisch wie früher, nur sei ihre Romantik und Problematik versteckter, weiter nach innen verlegt, so dass der Mann sie nicht mehr entdecke. Die Bildhauerin Renée Sintenis war so eine Bubikopf-Frau. Ihre ganz besondere Persönlichkeit scheint in der Weltläufigkeit in Flechtheims Vorstellung von sich selbst eine kongeniale Entsprechung gefunden zu haben. Denn beide wurden ein Gewinnerteam. Er machte sie zum Star der von ihm selbst herausgegebenen Avantgarde-Zeitschrift „Der Querschnitt“. Sie zog aus dieser Anerkennung die Sicherheit für ihr Schaffen. Und er wiederum sorgte über seine weit ausgreifende Galeristentätigkeit dafür, dass ihre unnachahmlich empfundenen Tierschöpfungen in alle Welt gelangten.

Eine Götterversammlung ruft

Erstmals in Berlin gibt es nun eine Ausstellung zu diesem bedeutenden Kunsthändler der Weimarer Republik. Das Georg-Kolbe-Museum zeigt Skulpturen von 14 namhaften Künstlern, die durch ihn gefördert wurden, und bietet in Fotos und Dokumenten einen informativen Einblick in diese aufregende Zeit der deutschen Moderne. Die ganz unterschiedlichen Bildhauer wie Ernst Barlach („Der Zweifler“), Gerhard Marcks („Stehender Jüngling“), oder Arno Breker („Kauernde“), sind in dem früheren Atelierhaus von Georg Kolbe („Der Einsame“) über die verschiedenen Räume so arrangiert, dass sie sowohl als Besonderheit als auch als Ergänzungen wahrgenommen werden können. Auch die Hauptpersonen des Freundeskreises sind vertreten: Die vielporträtierte Tilla Durieux (Barlach, Heller) und der Stargalerist (Belling, Heller) gleich zweimal, die Modernitäts-Ikone Sintenis im nachdenklichen Selbstporträt.

Von ihren berühmten Kleinplastiken sind zu sehen: Knieendes Reh, Liegendes Fohlen, Rückblickendes Fohlen, Ausschlagendes Pferdchen, Junger Terrier. Passend dazu ist sie auf einem Foto in ihrer Schöneberger Wohnung beim Modellieren zu sehen, während ihr Terrier desinteressiert auf dem Boden liegt. Und es fehlt auch eine andere Schöneberger Zeit-Ikone nicht, porträtiert im hell-kühlen Englisch Zement als nervöses Zeitgewitter: Marlene Dietrich, geschaffen von Ernesto de Fiori, einem weiteren Superstar der Flechtheim-Galerie am Lützowufer 13. An der Wand hinter der Plastik blickt die Künstlerin von einem Foto ganz mürrisch auf den Betrachter, was allerdings kein Wunder ist, denn sie sitzt im Atelier des Künstlers gerade Modell.

Der 1878 in Münster als Sohn eines jüdischen Getreidegroßhändlers geborene Alfred Flechtheim entdeckte seine Liebe zur Kunst während seiner kaufmännischen Ausbildungszeit in Paris. Die flammenden Getreidefelder Vincent van Goghs erschienen ihm ungleich aufregender als die trocken angehäuften Kornsorten im elterlichen Angebot. Er begann zunächst Kunst zu sammeln, bis er 1913 in Düsseldorf seine erste Galerie eröffnete, die er während des Ersten Weltkriegs, an dem er als Kriegsfreiwilliger teilnahm, schließen musste. Nach seinem Neuanfang 1919 führte die Rheinlandbesetzung durch die Franzosen zur Verlagerung seines Wohnsitzes in die Hauptstadt und zur Eröffnung seiner dortigen Niederlassung, in der die Moderne in Malerei und Plastik ihre bahnbrechende Unterstützung fand. Vor den antijüdischen Drohungen durch die Hitlerei wich er bereits im Oktober 1933 nach London aus, wo er im Jahre 1937 ruhmbedeckt verstarb.

Georg-Kolbe-Museum
Sensburger Allee 25
(S-Bahnhof Heerstr.)
Täglich 10.00 – 18 Uhr
<link http: www.georg-kolbe-museum.de>www.georg-kolbe-museum.de

Ottmar Fischer

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