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12.09.2021 / Menschen in Schöneberg

Karikaturist und Witzblattillustrator

Maria Schinnen. Lichtdurchflutete Ostseelandschaften, wolkenverhangene Meeresbilder, Lichtbrechungen auf dem Wasser, transparente, sich überschneidende Prismen und Kristalle, so kennt man Lyonel Feiningers Werke.
Foto: Elfie Hartmann

Sie wirken mystisch, ins Übernatürliche transformiert. "Das Gesehene muss innerlich umgeformt und kristallisiert werden", so sein Bestreben. Das Ausgangsmaterial fand er in der Natur, an der Ostsee oder in thüringischen Dörfern, die er auf seinem Fahrrad erkundete. Er fertigte Skizzen von Kirchen und Landschaften an und brachte die Motive später in seinem Atelier zur „transzendenten Auflösung“.
Doch das war nicht der Beginn seiner künstlerischen Karriere. „Mein Werdegang ist sehr merkwürdig gewesen, ich habe fast 15 Jahre als Illustrator, zwangsweise, um zu leben, gearbeitet und es, trotzdem ich mich immer schrecklich quälen musste, um einigermaßen den Ansprüchen der Verleger zu begnügen (genügen), zu einem ganz netten Ruf gebracht – so vor 6-8 Jahren“, schrieb der 41jährige Lyonel an Alfred Kubin.

Dabei sollte er eigentlich in die Fußstapfen seines Vaters treten und Konzertgeiger werden.
Geboren wurde er am 17. Juli 1871 in New York, bekam früh Geigenunterricht und spielte schon nach wenigen Jahren erfolgreich in New Yorker Kammerorchestern. Mit 9 Jahren hatte er aber auch seine Liebe fürs Zeichnen entdeckt und erhielt von der Tante eines Freundes Unterricht. Mit 16 Jahren kam er nach Deutschland, wo seine Eltern zu dieser Zeit konzertierten. Sie wollten ihn am Leipziger Konservatorium anmelden, wo auch die Karriere seines Vaters begonnen hatte. Doch Lyonel stimmte seine Eltern um, und er durfte eine Zeichen- und Malklasse in Hamburg besuchen. Nach einem Jahr wechselte er - nach bestandener Aufnahmeprüfung - an die Berliner Kunstakademie. Es folgte ein Zwischenaufenthalt im Jesuitenkolleg Lüttich, dann kehrte er an die Berliner Akademie zurück. Mit den veralteten akademischen Lehrmethoden hatte er Schwierigkeiten und ging für ein Jahr an die Pariser Akademie Colarossi.

Zurück in Berlin führte ihn sein umtriebiger Charakter von einer Wohnung zur andern, von der Schillstraße 16 in die Courbierestraße 12, für 3 Jahre in die Albestraße 16 (Friedenau), von dort in die Fasanenstraße 48, schließlich in die Ringbahnstraße 16 (Wilmersdorf). Inzwischen hatte er Clara Fürst geheiratet und bekam zwei Töchter. 1905 lernte er die Malerin Julia Berg kennen, trennte sich von seiner Familie und zog mit Julia in die Königstraße nach Zehlendorf, wo drei Jungen zur Welt kamen. Trotz der Trennung wurde er von seinen Töchtern geachtet und geliebt. Seine Tochter Lore schrieb nach seinem Tod: „Wir alle sind in treuem Gedenken Vater Lyonel in herzlicher Liebe verbunden geblieben. Sein stiller, feiner Humor, sein liebevolles Verständnis für die Freuden und Bedrängnisse seines Familienkreises, seine bezaubernde, kluge und freundliche Art in der Unterhaltung mit uns und seinen Freunden, die zugleich so demütig und überaus taktvoll war, machten ihn überall beliebt.“

Seine Leidenschaft für Karikaturen hatte Lyonel Feininger schon während seiner Zeit an der Berliner Kunstakademie entdeckt, als er gezwungen war, nichts anderes als Gipsabdrücke antiker Plastiken abzuzeichnen. Das ödete ihn an. Karikaturen wurden nun sein bevorzugter Zeitvertreib. Ab 1890 konnte er die Zeichnungen an verschiedene Berliner „Witzblätter“, wie er sie nannte, verkaufen. Seine ersten Zeichnungen gingen an die „Humoristischen Blätter“, es folgten „Ulk“, „Die Lustigen Blätter“, „Das Narrenschiff“, „Der Liebe Augustin“, „Die Berliner Illustrierte Zeitung“, „Das Schnauferl“. Die Inhalte reichten von politischen Karikaturen bis zu völlig unpolischen Witzklischees von vergesslichen Professoren und bösartigen Ehefrauen. Das Blatt „Wahlkirmes“ wurde 1903 anlässlich der Wahl zum Deutschen Reichstag angefertigt und zeigt ein kurioses Panoptikum der damals völlig zersplitterten Parteienlandschaft.

Innerhalb von 20 Jahren brachte Feininger es auf mehr als 2000 politische und satirische Karikaturen. Glücklich war er damit nicht, denn die Redaktionen gaben die Inhalte vor und überließen Feininger lediglich die Ausführung und farbige Gestaltung. Die damals noch reduzierten drucktechnischen Möglichkeiten der Zeitschriften schränkten ihn ebenfalls ein. Dennoch entwickelte er im Laufe der Zeit einen eigenen Stil, an dem man ihn erkannte. Strichzeichnung kombinierte er mit flächigen Kontrasten in der Kleidung, riesige, gehende Figuren im Vordergrund mit erstarrten Silhouetten im Hintergrund, Bewegung erzeugt er durch perspektivische Verzerrungen. Später gingen diese Figuren auch in seine Gemälde ein.

„Dies ist nicht Feininger“, bemerkte Julia Feininger, als sie nach seinem Tod eine Liste aller Karikaturen anfertigen sollte. Von seinem Beginn als Karikaturist wollte sie nichts wissen. Sie sah die Arbeiten als minderwertig an, die das Werk des späteren Feininger störten. Lyonel selbst aber hatte ein ganz anderes Verhältnis dazu. „Ich bin weit entfernt davon, die sehr wichtigen Entwicklungsjahre, die ich als Witzblattzeichner durchmachte, gering zu halten – im Gegenteil! Sie waren meine einzige Disziplinierung.“

Mit Berlin blieb Lyonel Feininger innig verbunden, auch als er später für seine Arbeit am Bauhaus nach Weimar und Dessau zog. In der Preußenstadt an der Spree hatte er immerhin fast 30 Jahre seines Lebens verbracht.

Anlässlich seines 150-jährigen Geburtstages stellt die Berlin-Galerie Parterre, Danziger Straße 101 mehr als 100 seiner Karikaturen aus. Ein kurzer Exkurs zu Heinrich Zille, der für dieselben Zeitschriften wie Feininger arbeitete, ergänzt den Blick auf das Berlin dieser Zeit. Die Ausstellung ist noch bis zum 15. September 2021 zu sehen. Der Eintritt ist frei.

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