Zur Orientierung für Menschen mit Behinderungen

16.06.2018 / Projekte und Initiativen

James Bond in der BVV

Immer wieder melden sich besorgte Anwohnende in Parteibüros und amtlichen Einrichtungen mit Nachrichten über Häuser in der Nachbarschaft, die nach ihrer Beobachtung nicht ausreichend instandgehalten werden oder in auffälliger Weise leerstehende Wohnungen aufweisen.
In diesem Haus sollen wohnen: Links neben dem Agenten 007 der Mr. Bean, bekannt aus Film und Fernsehen. Darunter in einer kleinen Wohngemeinschaft die international bekannten Fussballspieler Julio César (Torwart der brasilianischen Nationalmannschaft) und Mittelfeldspieler Tomás Rincon (venezuelanischer Nationalspieler und ital. Meister und Pokalsieger mit dem Juventus Turin in der letzten Saison, jetzt beim Rivalen FC Turin). Nicht fehlen darf der ivorische Fassballer Yaya Touré, von 2011 bis 2014 Afrikas Fußballer des Jahres, zuletzt im Mittelfeld für Manchester City und Nationalspieler für die Elfenbeinküste. Foto: Axel Seltz

Das führt auch im Bezirksparlament immer wieder zu entsprechenden Anfragen, die dann vom Bezirksamt mit der Versicherung beantwortet werden, dass solchen Hinweisen mit aller Sorgfalt nachgegangen werde. Das ist auch glaubwürdig, und dafür gibt es Belege. Denn die mietpreistreibende Wohnungsknappheit ist nicht nur der Bevölkerung, sondern auch der Politik ein Dorn im Auge.

Deswegen gibt es in Berlin seit dem 1. Mai 2014 das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum, und im Bezirksamt eine „Zweckentfremdungsstelle“, die allen Hinweisen zu leerstehenden Wohnungen, Ferienwohnungen oder gewerblich genutzten Wohnungen nachgeht. Wie jetzt bekannt wurde, verteilt die Behörde seit 2016 auch Benachrichtigungen über die Briefkästen in Häusern, zu denen Erkenntnisse zur Zweckentfremdung vorliegen, um gerichtsfestes Beweismaterial zu gewinnen. In dem dieser Zeitung vorliegenden Text heißt es erläuternd:

„...Eine Zweckentfremdung liegt beispielsweise vor, wenn eine Wohnung nur tage- oder wochenweise vermietet wird (Ferienwohnung), aber auch, wenn eine Wohnung länger als sechs Monate leer steht. Die Ausübung eines Gewerbes stellt ebenfalls eine Zweckentfremdung dar, es sei denn, das Gewerbe wurde bereits am 1.05.2014 betrieben oder es wird nur ein kleiner Teil der Wohnung gewerblich genutzt. Dem Wohnungsamt liegen Hin-weise vor, dass in Ihrem Hause Wohnungen zweckentfremdet werden. Sollte Ihnen hierzu etwas aufgefallen sein, wäre es sehr hilfreich, Wenn Sie Ihre Beobachtungen dem Bezirksamt mitteilen würden...“. Als Ansprechmöglichkeit sind neben der Postanschrift angegeben: Die E-Mail-Adresse „zweckentfremdungstelle@ba-ts.berlin.de“, sowie die Telefon-nummern 90277-2989,-2385,-2984,-2834.

Lauschangriff oder Hörerlebnis?
Diese Hauswurfsendungen waren nun den Parteien durch einen konkreten Fall zu Ohren gekommen, und so sah sich das Bezirksamt in der April-Sitzung der BVV neugierigen Fragen der CDU und scharfen Angriffen der AfD ausgesetzt. In der Beantwortung der Mündlichen Anfrage von Ralf Olschewski (CDU) begründete Stadträtin Heiß (Grüne) die Notwendigkeit der Aktion mit der amtlichen Erkenntnis, „dass einige Bürger_innen sich ohnehin die Mühe machen, die zuständigen Stelle herauszufinden, um dann Hinweise weiterzugeben. Anderen ist die Schwelle zu hoch, die zuständige Behörde zu finden, und dann noch hoffen zu müssen, dass diese tätig wird. Es zeigt sich aber, dass man genau diese Personen dort abholen kann, indem man als Behörde Engagement zeigt, auf die Bürger_innen zugeht, sich bekannt macht und Kontaktmöglichkeiten anbietet.“

Eine solche Aufforderung zur Mitwirkung erschien der AfD nun aber als „Bespitzelungsersuchen an die Anwohner“, wie es in ihrer Großen Anfrage heißt, so dass sich die Stadträtin genötigt sah, nicht nur diese bereits im Anfragen-Titel mit „Stasi 2.0“ anklingende Deutung zurückzuweisen, sondern in einer ausführlichen Darlegung auch als begrifflich falsche Kontextualisierung zu enthüllen. Im Gegensatz zur Stasi der früheren DDR gehe es dem Bezirksamt nicht darum, von An-wohnenden Informationen über andere Menschen zu erhalten, über ihr Verhalten, ihre Äußerungen und Kontakte. Es gehe um Wohnungen, und zwar um deren gesetzeswidrige Zweckentfremdung. Außerdem gehe es lediglich um Hinweise zu Kenntnissen, die jeder Hausbewohner ohnehin beim täglichen Leben in dem betreffenden Wohnhaus durch passive Kenntnisnahme zwangsläufig erlange:
„Denn das Problem vieler illegaler Ferienwohnungen in Mietwohnungshäusern besteht nicht nur darin, dass sie dem Wohnungsmarkt mit einem illegalen Geschäftsmodell dringend benötigten Wohnungsraum entziehen, sondern auch darin, dass gewerbliche Ferienwohnungsnutzungen viel Störungen und Lärm in ein Mehrfamilienhaus bringen. Genervte Bürger_innen wenden sich auch ohne unsere Hauswurfsendungen an die Zweckentfremdungsstelle, weil sie alkoholisierter und desorientierter Berlin-Besucher überdrüssig sind … Ein regelmäßiges Kommen und Gehen von Fremden mit Koffern zu bestimmten Wohnungen können Hausbewohner bemerken, ohne die Identität von Personen zu kennen ... Das Bezirksamt interessiert sich für Wohnungen, nicht für Gäste.“

Sind Zwecke heilig?
In der Debatte zeigte sich die AfD jedoch widerborstig. Abhilfe bei der Wohnungsknappheit könne ohnehin nur durch ausreichenden Neubau geschaffen werden, und es gäbe auch hinreichende Möglichkeiten der Informationsbeschaffung, ohne sich dem Verdacht der Spitzelanwerbung aussetzen zu müssen. Und in der Tat zeigt die von Stadträtin Heiß vorgelegte Statistik, dass nur 540 von 2748 bisher eingeleiteten Amtsverfahren auf Hinweisen aus der Bevölkerung beruhen, von denen insgesamt 69% eine Zweckentfremdung betreffen, 31% einen Wohnungsleerstand. Die fleißige Zweckentfremdungsstelle weiß eben auch die einschlägigen Internet-Portale zu nutzen. Der Strafrahmen soll übrigens gerade von 100.000 auf 500.000 Euro erhöht, die Leerstandstoleranz von sechs auf drei Monate verringert werden.

„Reden Sie doch nicht immer bloß davon, wogegen Sie sind“, schleuderte Bertram von Boxberg (Grüne) der AfD entgegen, „Sagen Sie uns doch, wofür Sie sind! Ich will es für Sie tun: Sie wollen, dass Wohnungsvermieter ein Vielfaches an ihren Mietwohnungen verdienen. Sie wollen, dass die vielen Wohnungen, die dem Wohnungsmarkt wieder zugeführt werden, nicht den Mietern aus der Wohnungsnot helfen!“ Rainer Penk als Fraktionsvorsitzender der Grünen erinnerte an die weiterhin große und tragende Bedeutung von §14 Grundgesetz, worin die Sozialbindung des Eigentums festgelegt ist und hob hervor, dass im vergangenen Jahr als Ergebnis der Zweckentfremdungs-Bekämpfung mehr Wohnungen in den Wohnungsmarkt zurückgeführt als neue Wohnungen gebaut werden konnten. Auch Lars Rauchfuß (SPD) verteidigte das amtliche Vorgehen in Richtung AfD: „Wir nutzen jedes Instrument, Mieterschutz, Milieuschutz und Neubau. Sie tun das nicht. Und dass Regeln durchgesetzt werden, ist auch hier eine Frage der inneren Sicherheit!“

Die Goldene Bärin für die innovativste Rede aber gebührt dem Vorsitzenden des Stadtentwicklungsausschusses, Axel Seltz (SPD): Bereits auf seinem Weg zum Rednerpult brandete ganz unüblich frohlockender Beifall auf, was wohl darauf zurückgeführt werden muss, dass die eigenen Reihen schon vor seinem Redebeitrag in Kenntnis dessen waren, was da kommen würde. Zunächst empfahl er der AfD, statt über „Bespitzelung“ sich doch lieber darüber aufzuregen, dass „bei spekulativem Leerstand die Mietpreisentwicklung weiter angeheizt wird.“ Dann fuhr er fort, es sei doch für Anwohnende meist gar kein großer Aufwand nötig, um von illegalen Nutzungen zu erfahren. Er jedenfalls könne den Bezirksverordneten ein Beispiel aus der Schöneberger Albertstraße vorzeigen, das keine großen Anforderungen an den Kenntnisnehmenden stelle, um etwas Gesetzwidriges zu vermuten.

Dann las er einige Namen von international tätigen Fußballspielern von einem mitgeführten Tablet ab, und nannte einen gewissen James Bond, dokumentierte mit einem Schwenk des Tablets über den Sitzungssaal, dass sich diese Namen auch auf fotografierten Namensschildern an Wohnungen befinden, und stellte die Vermutung an, dass sich James Bond bestimmt zu wehren wisse, falls er dort tatsächlich wohne und ihm Zweckentfremdung vorgeworfen werde. Die daraufhin in den Beifall hinein ausbrechende Heiterkeit im Saal kann durchaus als heftig bezeichnet werden.

Ottmar Fischer

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