Zur Orientierung für Menschen mit Behinderungen

27.03.2020 / Menschen in Schöneberg

Falsche Freunde

Von Maria Schinnen „Wir schaffen Schutzzonen“, steht auf ihren roten Warnwesten mit stilisiertem „S“. Zu dritt patrouillieren die Männer durch Touristenviertel und Gegenden mit vielen Migranten in Berlin.
Kapp-Putsch (13.-17.3.1920).- Soldaten der Marine-Brigade Erhardt? auf einem mit Maschinengewehr ausgerüsteten Lastwagen. Bundesarchiv, Bild 146-1971-091-20 / CC-BY-SA 3.0

Sie gehören der NPD an und inszenieren sich als „Bürgerwehr“ gegen vermeintliche „Ausländergewalt“ und „No-Go-Areas“. Ihr provokantes Auftreten will Aufmerksamkeit schaffen und suggeriert den Flaneuren: „Seht her! Wir haben euren Schutz übernommen, denn der Staat ist unfähig dazu.“
Sie sind nicht die Einzigen. Die Kölner Silvesternacht 2015/2016 sorgte für einen regelrechten Bürgerwehr-Boom in allen Bundesländern. Ihre Anhänger sind oft vorbestrafte Rechtsextreme und Neonazis. Rechtlich kann man das gemeinsame Streife-laufen aber nicht verbieten, solange polizeihoheitlichen Tätigkeiten wie Ausweiskontrollen, Platzverweise oder das Tragen von Waffen unterbleiben.

„Bürgerwehren“ sind auch kein neues Phänomen. Während der Revolutionswirren von 1918 wurde die Forderung nach freiwilligen lokalen Selbstschutzverbänden, die Leben und Eigentum des Einzelnen mit Waffen verteidigen sollten, wenn die Regierung nicht in der Lage dazu war, besonders laut. Als dann bekannt wurde, dass Deutschland seine Reichswehr auf 100.000 Mann zu reduzieren hatte, mussten viele militärische und paramilitärische Verbände wie die Freicorps (ehemalige Soldaten und Freiwillige), die dem Reichswehrministerium unterstanden, abgerüstet werden. Dagegen rührte sich Widerstand in den Reihen derer, die von Entlassung bedroht waren. Nach dem „Spartakusaufstand“ vom 5.1. bis 12.1.1919  rief der Oberbefehlshaber des Heeres Gustav Noske alle Gemeinden dazu auf, „freiwillige Einwohnerwehren zum Kampf gegen Gesindel, das sich bei politischen Unruhen auftun könnte“ zu gründen. Motiv war nicht allein der Kampf gegen Spartakisten und KPD, die „Einwohnerwehren“ boten auch eine willkommene Gelegenheit für die kaisertreuen Freicorpsanhänger, sich zu betätigen.

Auch in Friedenau gründete sich eine „Einwohnerwehr“. Nach einer Versammlung der DDP (Deutsche Demokratische Partei) am 7.1.1919 zog man spontan zum Rathaus Friedenau und 100 Männer trugen sich in eine Gründungsliste ein. In den folgenden Wochen vergrößerte sich die Zahl der Mitglieder nur leicht. Der erste große Einsatz war die Wahl der Nationalversammlung am 20. Januar 1919. Mit Maschinengewehren ausgestattet bewachte die neu gegründete Einwohnerwehr die Wahllokale. In der Folgezeit wurden tägliche und nächtliche Patrouillen durchgeführt, um Plünderungen und Verwüstungen auf Märkten und vor Geschäften zu unterbinden, um Häuser zu bewachen und vor Einbrechern zu schützen. Ihren Dienst taten die Mitglieder ehrenamtlich und unentgeltlich. Sie unterstanden der Zentralstelle für Einwohnerwehren, die dem Innenministerium angegliedert war. In ihrer Zusammensetzung sollte sie unparteiisch sein, war Untersuchungen zufolge aber eher nationalistisch / reaktionär eingestellt. Trotz zahlreicher moralischer Appelle blieb die Zahl ihrer Mitglieder mager. Bis Mai 1919 umfasste sie lediglich 400 Mann. Schließlich versuchte man es mit Druck: Die Wehr entschied, alle Häuser zu kennzeichnen, aus denen bisher niemand eingetreten war und diese künftig nicht mehr zu schützen. Dagegen brach ein Sturm der Entrüstung los, was die Anmeldezahlen nicht gerade erhöhte. Die skeptische Einstellung der Bevölkerung wuchs weiter, als ein Wehrtrupp sich anmaßte, eine öffentliche Versammlung wegen angeblicher Unruhegefahr ohne Polizei aufzulösen.  

Dann ereignete sich der Kapp-Putsch im März 1920. Eine Gruppe nationalistischer Verschwörer unter der Leitung  des Politikers Wolfgang Kapp und des Reichswehrgenerals Wolf-gang Freiherr von Lüttwitz versuchte, unterstützt durch den verbliebenen Freicorpsverband „Brigade Erhardt“, die Regierung der Weimarer Republik zu stürzen. In diesem Staatsstreich sahen die Republikgegner eine letzte Chance, wieder an die Macht zu kommen. Die Putschisten hielten vier Tage lang das Regierungsviertel Berlins besetzt. Mit der Begründung „Truppe schießt nicht auf Truppe“ weigerte sich die Reichswehr, den Putsch gewaltsam zu beenden. Die rechtmäßige Regierung floh erst nach Dresden, dann nach Stuttgart und rief zum Generalstreik auf. Durch den Generalstreik und den passiven Wider-stand der Berliner Beamtenschaft brach der Putsch am 17.3.1920 zusammen.

Nach dem Streik berichtete der Friedenauer Lokalanzeiger ausführlich über die „Schreckens-tage in Friedenau“, in denen es mehrfach zu Blutvergießen gekommen war. Größtes Missfallen und schärfste Kritik löste vor allem die Rolle der Einwohner-wehr aus. Man richtete einen Untersuchungsausschuss zu den Vorgängen ein und rief die Bevölkerung auf, als Zeugen auszusagen. Die „Beobachtungen“ hingen erwartungsgemäß stark von der grundsätzlichen Einstellung zur Einwohnerwehr ab. Die einen sahen sie als „Schergen der Meuterer“, die offen mit „den Verbrechern“ sympathisierten. So hätten die anwesenden Wehrmitglieder salutiert, als der Freicorpsverband durch Friedenau marschierte. Sie hätten das Rathaus nach seiner Besetzung durch die Verschwörer mit Stacheldraht und Wachposten gegen die eigene Bevölkerung abgeschirmt, ein mit dem Lauf auf die Einwohner gerichtetes Maschinengewehr aufgestellt, Bewohner barsch angeherrscht, wenn sie in die Nähe des Rathauses kamen, Zivilisten durch die Straßen gehetzt, Menschen unberechtigterweise verhaftet, Schüler der höheren Schule zum Dienst in der Einwohnerwehr rekrutiert und sie mit Waffen ausgestattet, 13-15-jährige Untertertianer zu Munitionstransporten und zum Flugblattverteilen herangezogen. Die andere Seite bedauerte die Opfer, bedankte sich aber bei der Einwohnerwehr für ihren selbstlosen Einsatz und konnte in deren Verhalten nichts Tadelnswertes erkennen. Wechselseitige Verunglimpfungen und Verharmlosungen bestimmten die Darstellungen. Unklar blieb, wer für die tödlichen Schüsse während der Tumultszenen verantwortlich war. Der Eindruck, „Heißsporne in der Einwohnerwehr“ hätten durch ihr provokantes Verhalten nicht gerade zur Beruhigung der Straßenszenen beigetragen, wurde eingeräumt.

Am 9. April fanden alle hitzigen Debatten ein Ende. Auf Beschluss des Preußischen Staatsministeriums wurden alle Einwohnerwehren aufgelöst und mussten ihre Waffen abgeben. Für Friedenau wurde nun ein freiwilliger Ortsschutz gefordert, der jedoch erst nach der Vereinigung mit Groß-Berlin gegründet werden solle.

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