Zur Orientierung für Menschen mit Behinderungen

02.07.2020 / Projekte und Initiativen

Der Bote zwischen Himmel und Erde

Von Ottmar Fischer In den alten Zeiten war die Tierwelt zunächst geheimnisvoll, dann nutzbringend, bevor sie in unseren großstädtischen Verhältnissen schließlich randständig wurde. Doch je mehr unsere industrielle Lebensweise auch auf den ländlichen Raum übergreift und inzwischen den gesamten Artenbestand bedroht, umso mehr flüchten die Tiere in den eigentlich ungewohnten Stadtraum. Und sie finden dort unter den Menschen Helfer. Glücklicherweise.
Foto: Kathy Büscher/NABU Rinteln

Der NABU als Zusammenschluss von Naturschützern hat sich in vielfältigen Aktivitäten der Aufgabe verschrieben, den Überlebenskampf der Arten auch in der Stadt zu unterstützen. Und da in der Natur alles mit allem zusammenhängt, fängt auch alles mit der Sicherung von naturnahen Grünflächen an, führt über den Insektenschutz zur Bereitstellung von Nistmöglichkeiten für die Vogelwelt, und vergisst dabei auch die Greifvögel an der Spitze der Nahrungskette nicht.

In Berlin hat der NABU rund 300 Nistkästen für Turmfalken aufgestellt und dadurch den Bestand in der Stadt stabilisieren können. Einer davon befindet sich auf dem Gelände der Park-Klinik in Weißensee und hat die Besonderheit, dass eine Webcam dort Jahr für Jahr einen Einblick in die Kinderstube der Falken gewährt. Dieses Jahr sind es fünf Jung-vögel, die im Livestream über die Internetseite des NABU bei ihrem Heranwachsen beobachtet werden können. Da die Jungtiere während des Abfassens dieses Artikels schon verdächtig oft und neugierig aus dem Eingang in die Welt geblickt haben, dürften  sie beim Erscheinen dieser Ausgabe der Stadtteilzeitung den Absprung in die große Welt bereits gewagt haben. Die Neugierigen unter unseren Lesern müssen sich daher vermutlich auf das nächste Jahr vertrösten, wenn die Falken aus ihren Winterquartieren zurück sind und das Brutgeschäft neu beginnt.

Außerhalb der Kinderstube bleiben die Jungvögel zunächst noch in Sichtweite der Eltern. Sie betteln um die gewohnte Zufütterung und versuchen den Eltern die Beute abzujagen, was aber als Einübung in die selbständige Jagd anzusehen ist und von den Eltern auch so behandelt wird. Der Turmfalke ist von den verwandten Baumfalken und Wanderfalken in der Luft leicht zu unterscheiden, weil er die Fähigkeit hat, in der Höhe rüttelnd stehen zu bleiben, um die optimale Linie für den im Sturzflug erfolgenden Zugriff auf die Nagetier-Beute zu berechnen. Das ist sogar am Friedrich Wilhelm Platz zu beobachten, auf dessen vergleichsweise kleiner Fläche aufgrund seines verwahrlosten Zustands nur wenig Publikums-verkehr stattfindet und daher ausreichend Raum für Mäuse-Abenteuer bleibt. Der hiesige Turmfalke nimmt die örtlichen Einschränkungen vermutlich auch deswegen in Kauf, weil er im nahen Kirchturm des Guten Hirten eine geeignete Brutstätte zur Verfügung hat. Denn wie Pfarrer Wenzel auf Nachfrage der Stadtteilzeitung bestätigt, findet dort seit über 30 Jahren eine erfolgreiche Falken-Aufzucht statt.

Die Falkenspur
Aber im grünen Friedenau kann selbst ein Gartencafé-Besucher unverhofft in ein Falken-Abenteuer geraten, wie unlängst geschehen, als vor den Augen der Gäste eine Taube auf der Flucht vor einem Wanderfalken gegen eine Fensterscheibe krachte und zum Schrecken der Besucher zunächst besinnungslos liegenblieb, während der Verfolger zum Schutz der eigenen Knochen im letzten Moment vor dem finalen Zugriff die Kurve vorzog und davonflog. Wanderfalken sind größer als ihre Verwandten und schlagen ihre Beute in der Luft. Dabei nehmen sie es auch mit den flinken Mauerseglern auf und verschmähen selbst Krähen nicht. Wenn Sie am Himmel ein ohrenbetäubendes Kreischen aus einem Dutzend Krähen-Kehlen hören, so werden Sie bei einem Blick nach oben bestimmt inmitten eines Haufens wütender Krähen einen Wanderfalken entdecken, der notgedrungen das Weite sucht, weil eine von ihm als Beute ausgesuchte Krähe Alarm geschlagen hat und die krähende Meute zu Hilfe gerufen hat.

Gleichwohl hat diese Fähigkeit zum Schlagen der Beute in der Luft dem Wanderfalken unsterblichen Ruhm eingebracht, jedenfalls unter den Menschen. Denn im alten Ägypten nahm der Falke als Symbol für die Verbundenheit des Herrschers mit dem Himmelsgott eine zentrale Stellung ein und ist deswegen auf den Bildinschriften der Baudenkmäler und in den Hieroglyphen der Aufzeichnungen besonders häufig zu sehen. Oft wird dabei die öffentliche Selbstverpflichtung des Pharao zur Bewahrung der göttlichen Weltordnung durch den Falkenkopf auf dem menschlichen Körper das Herrschers dargestellt, als organisch gewordene Verbindung des Himmels mit der Erde.

Die Jagd mit dem abgerichteten Wanderfalken wurde in Anlehnung an die altägyptische Herr-scher-Symbolik im gesamten Mittelalter von all den kleinen Adligen gern praktiziert, die ihren geringeren Anteil an tatsächlichen Machtmöglichkeiten durch den Einsatz des Falken kompensieren konnten, indem sie wenigstens auf diese symbolische Weise teil hatten an der größeren Macht des Kaisers: Durch die Handhabung des gemeinsam geachteten Repräsentations-Ideals der Macht. Über die Araber gelangte die Falknerei sogar bis nach Kasachstan, wo sie noch heute in Gebrauch ist, um die Außerordentlichkeit des besitzenden Falkners zu unterstreichen. In unseren demokratischen Zeiten kommt uns dieses Gebaren jedoch recht abgehoben vor. Da wundert es auch nicht, dass auf Anfrage der Stadtteilzeitung im Schöneberger Rathaus niemand zu sagen wusste, ob die beiden dort einst angebrachten Nistkästen auch heute noch von Turmfalken genutzt werden. Als Machtsymbol wird er dort offenbar nicht mehr benötigt.

Doch war die Presseabteilung so freundlich, die Kontaktdaten zum zuständigen Betreuer des NABU zu übermitteln. Und da Stefan Kupko sich seit  über 40 Jahren um das Überleben der Falken in unserer Stadt kümmert, konnte er nicht nur die erfolgreiche Aufzucht der Falken im Guten Hirten mit in diesem Jahr fünf Jungtieren bestätigen, sondern auch zum Turm des ehemaligen Friedenauer Rathauses berichten, dass dort der Nistkasten Jahr für Jahr genutzt wird. Wegen der gegenwärtig dort stattfindenden Fassadenrenovierung sei er aber zur Zeit verwaist, und auch eine rückwärtig eigens eingesetzte Ersatzmöglichkeit sei nicht angenommen worden. Da die Arbeiten am Rathaus aber kurz vor dem Abschluss stehen, sei für das nächste Jahr mit der Rückkehr der Falken zu rechnen.

Nicht so gut sieht allerdings die Lage im Schöneberger Rathaus aus. Dort seien die am Turm und am Schornstein des Innenhofs angebrachten Bruthilfen fast nie angenommen worden. Und das liege an der Art der Anbringung. Die Falken seien sehr vorsichtig bei der Wahl ihrer Brutstätten. Wenn sie als solche wie hier von außen erkennbar sind, würden sie als ungeeignet verworfen. Falkner Kupko setzt seine Hoffnung daher auf die Einsicht der Denkmalschutzbehörde, im Zuge der laufenden Sanierungsarbeiten die Anbringung eines Nistkastens an einer versteckten Stelle der Fassade zu ermöglichen, so wie das auch am Roten Rathaus gelungen sei. Da bleibt nur zu hoffen, dass die Bezirkspolitik einen entsprechenden Willen entwickelt, dem Naturschutz zuliebe.

Falkenkinderstube:
www.berlin.nabu.de/tiere-und-pflanzen/turmfalken-vor-der-kamera/index.html

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