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29.03.2021 / Orte und Plätze

Aufklärung statt Propaganda

Von Ottmar Fischer Vor 75 Jahren wurde von der amerikanischen Besatzungsmacht der „Rundfunk im amerikanischen Sektor (RiaS)“ gegründet. Aus diesem Anlass hat der nach der Wiedervereinigung im Zusammenschluss der nationalen Sender als Deutschlandradio im übernommenen Gebäude am Stadtpark tätige Nachfolger auf seiner Internetseite eine Sammlung alter Veranstaltungsplakate zusammengestellt, die einen Einblick in das vielfältige Angebot des Senders während des Kalten Krieges gewährt.
Veranstaltungsplakat des Rias auf deutschlandradio.de

Die propagandistisch eingesetzte Selbsterhöhung als „Freie Stimme der freien Welt“ machte jedoch stets deutlich, dass der politische Auftrag des Senders darin bestand, das  West-Berliner Schaufenster als Stachel im Fleisch des sozialistischen Ostens zu präsentieren. Und dazu wurde einiges auf die Beine gestellt, wie sich an den Plakaten ablesen lässt.

Zum Einsatz kam eine kluge Mischung aus diskursiven Wortbeiträgen als Gegenangebot zu den ideologischen Vorgaben des Ostens, der offene Blick in die weite Welt als Gegenentwurf zum abgeschotteten Sozialismus-Aufbau, und die Inszenierung der ständigen Verfügbarkeit aller Waren und Dienstleistungen als Gegensatz zur östlichen Mangelwirtschaft. Unterstützend wirkte dabei ein vielfältiges Kulturangebot, das zugleich den Durchhaltewillen der Zuhörer zu stärken vermochte, indem es gern mit unterhaltsamer Leichtigkeit daherkam. Die digitale Ausstellung der unter www.deutschlandradio.de abrufbaren Plakate vermag dazu bei Zeitzeugen so manche Erinnerung an so manchen Helfer in  mühsam überstandenen Zeiten wachzurufen. Dazu gehören natürlich Günter Neumann mit seinen Insulanern und das swingende Rias-Tanzorchester, aber auch der bis heute existierende Rias-Kammerchor und das eigene Sinfonieorchester. Und zum besseren Verständnis für Neuberliner gibt es ergänzend zur Ausstellung noch eine kurze Geschichte des Senders.

Keine Erwähnung findet dabei aber die gerade nicht  propagandistisch, sondern analytisch betriebene Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in den Anfangsjahren des Senders. Ein bis heute vorbildliches Beispiel für Aufklärung durch analytische Präzision wurde eine breit angelegte Sendereihe zur Geschichte des NS-Staates, für die der spätere Mitherausgeber der FAZ Joachim Fest prägnante Einzelporträts der Führungsfiguren geschrieben hat, die im Jahre 1963 unter dem Titel „Das Gesicht des Dritten Reiches“ auch in Buchform erschienen sind. Die besondere Würze dieser Porträts besteht in der Verknüpfung der Darstellung der charakterlichen Disposition der Einzelpersonen mit der Darstellung der Machtausübung in ihrem jeweiligen Herrschaftsgebiet.

Glauben ist nicht Wissen

Im Beispiel des NS-“Ministers für Volksaufklärung und Propaganda“ wird dabei deutlich, dass „Volksaufklärung“ und „Propaganda“ unvereinbare Gegensätze sind, denn das Ziel von Propaganda ist ja gerade die Verhinderung von Aufklärung, damit die eigene Handlungsweise unhinterfragt bleibt und also ungehindert ihre Ziele erreichen kann. Die NS-Riege hat daher beides mit verschleiernder Absicht unter einem Dach vereint, und zwar bestimmt nicht zufällig gerade unter der Leitung eines Menschen, der seine persönliche Versehrtheit dank seiner intellektuellen Möglichkeiten an dieser Stelle für das Regime besonders effektiv überkompensieren konnte. Denn ausweislich eines Tagebucheintrags glaubte er der „Canaille Mensch“ gegenüberzustehen, die Unantastbarkeit der menschlichen Würde, wie es in unserer heutigen Verfassung steht, war ihm unbekannt. Statt Aufklärung praktizierte er eine permanente Rauscherzeugung. Bewegung an sich war stets das eigentlich Bedeutsame. Schon während der Entstehungszeit in den Zwanzigern verstand man sich vor allem als Bewegung. Zu nutzen wusste die NS-Propaganda bereits damals die gerade aufkommenden Mittel der Produktwerbung, machte aus Plakaten das Plakative, aus Produktversprechen ein Heilsversprechen, aus der Erfindung des Motors das Motorische einer Bewegung von Massen – mal im mystischen Schauder des Fackelscheins, mal erhoben unter dem Strahlendom des Scheinwerferlichts.

Es war in Schöneberg, und zwar im 1973 abgerissenen Sportpalast an der Potsdamer Straße, wo er den Gipfel seiner Karriere als Volksverführer erreichte. Vor einem durch seine Rede fanatisierten Publikum steigerte er sich bis zur infernalischen Frage: „Wollt ihr den totalen Krieg?“ Und in die jubelnde Zustimmung hinein setzte er noch nach: „Totaler, als ihr ihn euch überhaupt vorstellen könnt?“ Und wieder brauste der Jubel auf. Das war 1943. In der Folge erreichte zwar die Kriegsproduktion ihren Höchststand, doch es folgte die totale Ruinierung der Stadt, der totale Ruin des Landes und glücklicherweise auch das Ende des totalitären Regimes.

Joachim Fest stellt seinen Porträts der NS-Verführer in der Buchfassung ein Zitat Hitlers voran: „Keine Nation wird sich die Finger zweimal verbrennen. Der Trick des Rattenfängers von Hameln funktioniert nur einmal.“ Das mag wohl so sein, und schon hundert Jahre zuvor meinte der Philosoph Hegel, dass Geschichte sich nicht wiederhole, es sei denn als Farce. Doch bleiben die Menschen wie sie sind. Und das ist fundamentaler als die Ideologien, die sie sich ausdenken. In seinem Porträt des Propagandisten Goebbels weist Fest darauf hin, dass dieser ursprünglich dem Kommunismus zugeneigt war und noch in den Anfängen seiner NS-Laufbahn dem sozialistischen Strasser-Flügel der Partei angehörte. Erst die persönliche Begegnung mit Hitler machte ihn dann zu dem, was er wurde, zum Schöpfer seines bewunderten Herrn als Erlöserfigur. Noch als NS-Gauleiter von Berlin hatte er 1929 beim großen BVG-Streik keine Probleme mit dem Zusammengehen mit der KPD des Bezirkssekretärs Walter Ulbricht, der nach der Niederlage des NS-Regimes aus der sowjetischen Besatzungszone die DDR machte. Für den autoritär veranlagten Charakter ist demnach nicht das Ideologische primär handlungsleitend, sondern die Aussicht auf totale Machtausübung.

Was können wir also daraus lernen? Es ist im Grunde ganz einfach: Achten wir stets darauf, Propagandisten mit Aufklärungsverlangen zu begegnen. Überall. Das können wir zum Beispiel einüben, indem wir den Hassreden von Verschwörungstheoretikern im Internet nicht folgen, sondern uns um Aufklärung der Hintergründe durch Faktencheck bemühen. Und das können wir schon bei so harmlos daherkommenden Influencerinnen auf Instagram erlernen, indem wir ihnen trotz ihrer sympathischen Erscheinung die Gefolgschaft verweigern und stattdessen nach Aufklärung zu den verschwiegenen Hintergründen bei der Herstellung der angepriesenen Waren verlangen. Gar so schwer ist das alles nicht, denn Hilfestellung gibt es durch verlässliche Informationsquellen, zum Beispiel im Deutschlandradio.

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